Background:
Tellier wurde für dieses Buch mit dem mit dem Prix Goncourt 2020 (für den besten Roman Er gilt als bedeutendster Literaturpreis Frankreichs). Übersetzt wurde es von dem in Paris lebenden Ehepaar, Romy und Jürgen Ritte (promovierter Germanist und Eugen-Helml-Übersetzerpreisträger).
„Hochkomisch und teuflisch intelligent" spielt der Roman mit unseren Gewissheiten und fragt nach den Grenzen von Sprache, Literatur und Leben. Facettenreich, weltumfassend, ein literarisches Ereignis. -> Ohne Zweifel Weltliteratur: ARD "Druckfrisch" 2021-09-12 (Denis Scheck)“
Und das Ganze in einem spannend klingenden Plot:
Im März 2021 fliegt eine Boeing 787 auf dem Weg von Paris nach New York und landet im Juni ein zweites Mal.
Jetzt muss ich sagen, dass ich spannende Geschichten liebe. Dass ich andere Sichtweisen wissen (hören) will, dass ich neugierig war, wie diese „Situation“ vom Autor aufgelöst wird. Cool, dachte ich und versuchte die Gedanken an „Der letzte Countdown“ mit Douglas und Sheen beiseite zu schieben. Ein Zeitreise-Thema, das nach 40 Jahren neu aufgegriffen wird.
Gierig griff ich nach dem Buch: Die ersten Seiten: BLAKE, der Auftragskiller. Cool.
Aber das war es auch schon mit dem ersten Höhepunkt.
Die nächsten Personen schien er zu einem anderen Zeitpunkt geschrieben u haben. Mit Blake hatte er mich abgeholt, um mich sogleich im zweiten Setting im eiskalten Park auf einer halbverwitterten Bank sitzen gelassen. Ich konzentrierte mich auf die Umgebung: Erste Sätze tauchten auf, die mich aus meiner Lethargie rissen. Was habe ich da gelesen? Absatzweise spulte ich zurück. Je mehr Seiten ich in mir reinzog, umso mehr schweiften meine Gedanken ab: Hintergrundmusik, die nur dazu da war, um einem nicht das Gefühl der Einsamkeit in einem aufkommen zu lassen. Musik, der man nicht zuhört, Musik die man kennt, und nicht mehr folgen muss. Warum saß ich auf dieser Parkbank? Wo ist der, der versprach mich abzuholen. Treibt er gar ein teuflisch intelligentes Spiel mit mir? Ich empfand diese Situation nicht als "hochkomisch", dachte ich mehrmals bei mir. Ich getraute mir nicht, die Kopfhörer abzunehmen, dem Grauton der Musik zu entfliehen, weil ich Angst hatte, dass mir sonst die Ohren abfrieren.
‘tschuldigung, ich bin schon wieder auf diesen Abwegen unterwegs. Zurück zum Thema:
Ich las Sätze in dieser „Weltliteratur“, die mir zeigten, dass ich in Sachen Literatur noch vieles nachzuholen hatte: „Beispiele“:
- Es vergeht noch ein Winter darüber, und da sagt er es ihr, es ist vier Monate her, nach einem Abendessen im Kim, diesem kleinen koreanischen Restaurant im Marais, das sie immer wieder aufsuchen, noch einmal …
- Eines Tages, als sie sich nach dem Mittagessen auf Wiedersehen sagen, will sie die Straße überqueren, sie tut einen Schritt auf die Fahrbahn, und André reißt sie heftig am Arm zurück. Ein Lastwagen donnert an ihnen vorbei. Ihre Schulter schmerzt, aber beinahe wäre sie tatsächlich tot gewesen.
Ich würde gerne wissen, wie der Text auf Französisch lautet. Denn ein preisgekrönter Text, von preisgekrönten Übersetzern, da muss der Fehler im wahrsten Sinne des Wortes VOR dem Buch liegen.
Tellier muss hervorragend recherchiert haben. Egal ob die Religionen, die Fliegerei, den Ablauf des Krisenmanagements der US-Behörden, oder einfach die Psychologie des Menschen. Viele Notizen. Hut ab. Nur eine Frage am Rande: Warum hat er seine Notizen 1:1 in das Buch übernommen?
Zeitdruck?
Scheint so zu sein, denn teilweise musste ich seine Arbeit übernehmen und die Unzahl seiner Fremdworte nachschlagen und für mich Banausen übersetzen. Mühsam. Da hätte ich lieber gleich die Geschichte geschrieben. Flüssiger. Jedenfalls ohne Sätze, die wie ein Weihnachtsbaum aussehen, würde man sie bildlich darstellen, Ein Satz mit und unzählige Einfügungen und Beisätze. Ein Jurist schreib verständlicher.
Und dann muss es jemanden im Verlag geben, der auf die „moderne“ Unsitte aufspringt, direkte Rede nur mit einem Bindestrich zu kennzeichnen. Ein Umstand, den ich vom Aichner kenne, der deshalb bei mir nie 5 Sterne für seine Erzählungen bekommt.
Tellier (oder seine beiden angegrauten Übersetzer [ich darf das sagen, denn ich bin um drei Jahre älter als sie]) setzt aber noch ein Schäuflein nach: Erst wenn man den Satz zu Ende gelesen hat, merkt man, an welcher Stelle die direkte Rede endete. Selbst inmitten der Sätze verzichtet er stellenweise auf Satzzeichen:
- Der Leutnant Clark Kleffman sieht die wirklich mausetote Betty, seine Tochter, die immer noch weint, und er spöttelt, Na, siehst du, Sophia, deine Unke, weißt du was?, sie sieht aus wie eine alte chinesische Ravioli.
- Frage am Rande: „wirklich mausetot“? Was ist das Gegenteil? Unwirklich hundemunter? Und hat einer von euch schon einmal eine chinesische Ravioli gesehen. Eine alte, versteht sich. Mir fehlt seit Corona die Phantasie zu all dem Asiatischen.
Will er mich wirklich mit solchen Sätzen auf die Grenzen der Sprache / Literatur hinweisen?
Und dann die Geschichte selbst. Ich war von seiner Idee begeistert. Die Umsetzung - wie man bereits vermuten kann - ein Gräuel. Zuviel Protagonisten, beschrieben mit noch mehr Adjektiven. Er macht sich keine Mühe sie zu entwickeln, den Leser sie eindringlich vorzustellen, Sie immer wieder in die Geschichte einzuflechten, damit man weiß, von wem er erzählt. Wenigstens eine Namensliste wäre hilfreich gewesen.
Oder hat er absichtlich ein „Arbeitsbuch“- geschrieben, für Schüler der 8. Schulstufe?
Ein Schreibratgeber könnte ihm auch dabei helfen, Situationen in seinem Buch für den Leser erlebbarer zu machen: Sie staunt. Sie weint. Er spöttelt. Sie schaut. Sie denkt. Er geht. Sagt er.
Alles Originalzitate aus dem Roman. Das tut weh – um beim Deutsch der Familie Ritte zu bleiben. Ein Schmuckstück hab‘ ich noch: — Professor Miller, sagt der General, nicht für einen Groschen verlegen, auf dem Rollfeld wartet ein …
Wie hieß es doch im Verkaufstext des Herrn Schenk: Ein weltumfassendes Ereignis. OK, zugegeben, es kommt Frankreich – USA und China vor. Ferner ein literarisches Ereignis: Nunja, Ereignis ja, aber ich google noch immer, was das Adjektiv „literarisch“ bedeutet.
Fazit
oder „Welch’ Gewissheit hat die Lektüre in mir hinterlassen?“:
Bin mir noch immer nicht sicher, ob ich einen Roman oder ein Sachbuch für Verschwörungstheoretiker gelesen habe.
Zumindest habe ich einige Kalendersprüche für meine Sprüchesammlung übernehmen können:
- Und ich, der ich Euch sage, dass ihr träumt, bin selbst ein Traum ...
- Der wirkliche Pessimist weiß, dass es schon zu spät ist, um noch Pessimist zu sein.
- Es gibt etwas Wunderbares, das stets über das Wissen, die Intelligenz und selbst das Genie herausragt, und das ist das Unverständnis.
Kein Autor schreibt das Buch des Lesers, kein Leser liest das Buch des Autors. Höchstens am Schlusspunkt stellt sich eine Gemeinsamkeit her.:
Entschuldigung angenommen, Herr Miesel äh Tellier.
Was hab ich noch gelernt:
- Kröten tun essen! - In welch einer Scheißwelt leben wir, Herr habilitierter Germanist?
- Scripte erscheinen in Echtzeit auf dem Schirm. - Nona.
Um es mit einem Lieblingswort von Tellier zu beschreiben, das er immer wieder gebrauchte:
Ein krudes Buch.