Ich war 17 Jahre alt, als mich inmitten höchst provizieller Eifel eine benachbarte steinalte hutzelige Dame - eine echte Dame alten Schlages - einlud, um mir in ihrer Bibliothek ein Buch auszusuchen. Da ich damit völlig überfordert war, drückte sie mir ein schweres, dickes, leinengebundenes Buch in die Hand - Antonio Adverso. Zu meinem Entsetzen war es in mir völlig unbekanner Sütterlin-Schrift gedruckt. Ich versuchte, den Anfang zu lesen - mit Mühe konnte ich die ersten Zeilen entziffern und war gefangen. Schnell lernte ich das Lesen der fremden Schrift, schnell lernte ich den Umgang mit einem tausendseitigen Roman. Es war ein Sog, eine Leidenschaft, ein Abenteuer sondergleichen. Ich hatte trotz meiner 17 Jahre nicht viel Erfahrung mit Büchern - aber jetzt lernte ich kennen, was ein Buch anrichten kann, wie es in die Welt einführen kann. Der Roman umfasst die Jahre von 1780 bis 1840 und führt den Helden von der Kindheit in einem italienischen Waisenhaus und Livorno über das kaiserliche Frankreich, als Kaufmann nach Südamerika, als Sklavenhändler nach Afrika bis zu seinem Ende als Siedler in El Paso. - Damals, fast noch ein Kind, nahm ich mir vor, dass dieses grandiose Buch zu den letzten, wenn nicht gar zum letzten Buch gehören soll, das ich in meinem Leben lese. Um alles zu begreifen. Um alles im Rückblick richtig und unfehlbar einzuordnen. Nun ja, so denkt man mit 17. Und das ist gut und sogar richtig. - Dass dieses Buch heute unbekannt ist, offenbart eine unentschuldbare Armut unserer Zeit. Amen.
Rezension zu "Antonio Adverso Band I und II" von Hervey Allen