Rezension zu "Der geschenkte Gaul" von Hildegard Knef
Ich habe diese Autobiografie als junge Frau schon einmal gelesen – es ist lange her. Wie anders man liest, wenn man älter ist! Es war für mich wie ein ganz neues Buch: ihre Kindheit und Jugend während des Krieges in Berlin, Hunger, Krankheit und Tod, Bombennächte, die Russen, die Amerikaner, und ihr unglaublicher Wille, ihr Streben zum Künstlerischen, zur Schauspielerei, durch nichts und niemanden zu bremsen.
Aber es ist weniger der Inhalt, sondern mehr der Stil, der faszinierend und unglaublich individuell ist. Niemand schreibt so wie Hilde, so atemlos, so nervös, so bildhaft und ohne Klischees, mit ungewöhnlichen Sprachbildern. Das macht sie nicht immer, sondern an den richtigen Stellen. Es ist der Horror von ihren Bombennächten zu lesen, ein Genuss, wenn sie das luxusgesättigte Zürich dem ausgebombten Berlin gegenüberstellt, wie sie mit wenigen Aufzählungen den Charakter des Nachkriegsamerikas beschreibt.
Ihr Stil ist ganz und gar ungewöhnlich: sie lässt Partikel, Artikel, Wörter weg, macht Adjektive zu ungewöhnlichen Substantiven und zählt atemlos auf – ein unverwechselbarer Stil, den ich so noch nirgendwo gelesen haben, der auch nicht zu allem passen würde.
Selbst ein anerkannter Literaturfachmann wie Michael Maar schreibt von ihr als Virtuosin und Erzählerin ersten Ranges.
P.S. Warum der halbe Punkt Abzug? Weil das Buch im letzten Drittel inhaltlich ein wenig zerfranst, ein wenig wirr wird. Das schmälert aber nicht seine hohe Qualität. Eine klare Leseempfehlung.