Cover des Buches Obsession (ISBN: 9783550087172)
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Rezension zu Obsession von Hitomi Kanehara

Rezension zu "Obsession" von Hitomi Kanehara

von Fascination vor 15 Jahren

Rezension

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Fascinationvor 15 Jahren
Realität im Spiegel Autor Hitomi Kanehara: * 8. August 1983 in Tokio / Japan Erfolgreiche Schriftstellerin, erste Schreibversuche erfolgten bereits im Alter von 15 Jahren, mit 20 Jahren ist sie die zweitjüngste Preisträgerin der Akutagawa-Auszeichnung für ihren Debütroman ‚Tokyo Love’, für den sie ebenfalls den Subaru-Preis erhielt, sie lebt in Shinjuku Buchinhalt Winter 22 Die junge Rin befindet sich zusammen mit ihrem frisch angetrauten Ehemann Shin auf dem Rückflug aus ihren Flitterwochen auf Tahiti. Man sollte meinen, das junge Paar schwebe glücklich im siebten Himmel. Doch tatsächlich frönt sie, getreu ihrem Motto „Man kann nie wissen, wo in der Welt die Tücke lauert.“, ihrer krankhaften Eifersucht, die nicht nur sie selbst, sondern auch ihren Partner quält. Völlig irrational, von Verlustängsten gezeichnet, malt sie sich Szenarien wie Trennung oder Scheidung, Selbstmord oder gar den Weltuntergang aus. Ihr ständiger Kontrollzwang auch im häuslichen Bereich wird zur Belastung, Vertrauen und Harmonie leiden. Auseinandersetzungen, sowie Hysterie und Ausfälligkeiten seitens Rin sind die unvermeidliche Folge. Als Schriftstellerin, hat sie Interviews zu geben und Folgeaufträge zu bearbeiten. Der aktuelle große Auftrag: Sie soll eine Autofiktion schreiben. Sommer 18 Rin führt den ausschweifenden Lebenswandel einer Rumtreiberin in Shinjuku. Sie pflegt ständigen Umgang mit Ran, die jede Orgie mitnimmt, Kana und Momo, die diesem Treiben ebenfalls nicht abgeneigt scheinen. Sie rauchen, trinken und das Leben ist für sie eine rauschende Party. Zusammen tingeln sie von Club zu Club. Erst als sie auf den DJ Shâ trifft und eine Beziehung mit ihm eingeht, nimmt ihr Leben wieder anständigere Formen an. Doch auch dieses Glück trübt sich, als sie Shâ bei völlig unnötigen Lügen ertappt. Sommer 16 Rin ist nicht sehr erfolgreich in der Schule. Ihre Versetzung ist eindeutig gefährdet, woraufhin sie kurzerhand die Schule abbricht und mit Gatô zusammenzieht, der aufgrund seiner Spielsucht nicht nur seine gesamte Freizeit in der Pachinko-Halle in Saitama verbringt, sondern dort auch sein gesamtes Vermögen lässt. Die Schulden wachsen ihnen über die Ohren und genug Geld für den Lebensunterhalt ist auch nicht vorhanden. Kochen, putzen und in der Spielhalle auf Gatô warten, erfüllt ihr Leben keineswegs. Rin sucht sich eine Arbeit, bändelt mit einem Kollegen an. Sie tanzt schließlich auf zwei Hochzeiten gleichzeitig, wofür sie einige Hiebe einzustecken hat, nachdem Gatô sie inflagranti erwischt. Nach einiger Zeit Hausarrest scheinen die Wogen geglättet. Doch der Schein trügt. Nachdem sie Gatô schließlich verlässt, beginnt ihre Zeit in den zwielichtigen Vierteln von Shinjuku, wo sie regelmäßig die Nacht zum Tag macht. Winter 15 In einem Rückblick auf Rins Elternhaus erfahren wir, dass Rin bereits seit der Grundschule Todesfantasien hegt. Obwohl die Eltern für Rin weitestgehend als Vorbilder fungieren, mangelt es ihnen ihrer Ansicht nach doch an Geduld und Durchhaltevermögen. Sie leidet unter der Situation, dass ihr Vater Affären hat und ihre Mutter in Tränen und Hysterie ausbricht. Ihr Dasein empfindet sie als pure Langeweile, die sie zu ertragen hat. Erst mit Nyanko bekommt ihr Leben einen Sinn. Ein Gefühl der Entspannung und des inneren Friedens stellt sich ein. Doch die scheinbar heile Welt wird durch ein folgenschweres Ereignis zerstört… Meine Meinung Hitomi Kanehara beschreibt spannende Aspekte einer gestörten Persönlichkeit. Schon nach wenigen Seiten ergibt sich ein detailliertes Bild Rins Charakters. Die Gliederung des Romans Obsession bringt dem Leser eine interessante Betrachtungsweise nahe. Zuerst wird er ohne Vorwarnung mit den Tatsachen konfrontiert und kann sich folgend in Rückschritten ein Gesamtbild Rins Charakters und Werdegangs machen. Diese Vorgehensweise macht die Person Rin noch plastischer, füllt sie mit Leben. Kanehara benutzt eine sehr direkte und moderne Umgangssprache, die Rins Alter und Umgang angemessen erscheint. Rin spricht jung, freizügig und frei von der Leber weg, was sie denkt. Ganz gleich ob sie damit schockiert oder provoziert. Der Schreibstil an sich ist trotz Schwere der Thematik recht flüssig, vermittelt die Schnelllebigkeit der Protagonistin und verdeutlich exakt deren Gedankenwirrwarr, wie eine Version der anderen folgt, Schlag auf Schlag. Bereits im ersten Kapitel Winter 22 wird deutlich, dass Rin psychisch sehr instabil ist. Ihr Denken, Reden und Handeln sind teils Widersprüche in sich. An einer Stelle stellt sie ihr mangelndes Selbswertgefühl, ihre Unselbständigkeit und Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen unter Beweis, an anderer Stelle wiederum sprüht sie vor Agilität und vermeintlichem Selbstbewusstsein. Rins Leben vollzieht sich in wankelmütigen Launen, sprunghaften Gedankengängen und ständiger Selbstreflexion. Sie spricht sich zwar Einsichtsfähigkeit, Objektivität und soziales Verhalten zu, ändert tatsächlich jedoch nichts an ihrem Betragen, mit dem sie andere Menschen nicht selten vor den Kopf stößt. Erstaunlich finde ich die Tatsache, dass Rin just in dem Moment, als sie die Trennung von Shin beschließt und ausspricht, wieder Zugang zu ihrer Arbeit als Schriftstellerin findet. Das letzte Kapitel über den Winter mit 15 Jahren weist schon deutlich auf Rins psychische Probleme hin. Die Rede ist von Narben an den Handgelenken, ständigen Visionen von abgeschlagenen Köpfen, Todesgedanken schon in frühester Kindheit. Sie befindet sich in ärztlicher Behandlung und bekommt Medikamente, die ihr gegen Depressionen, Panikattacken und Wahnvorstellungen helfen und ihre Psyche stabilisieren sollen. Bereits in ihrem Elternhaus gehören Untreue des Vaters und Hysterie der Mutter zum Alltag. Eine Situation, die wohl für jedes Kind schwer zu verarbeiten ist und sich belastend auf die Entwicklung auswirkt. Als schließlich noch ein Schwangerschaftsabbruch über ihren Kopf hinweg bestimmt wird, an dem sie hart zu knabbern hat, bestimmt sie, dass sich ihr Leben ändern wird. Doch da die Betrachtung durch den Leser rückwärts erfolgt, wissen wir bereits, dass sie diesen Plan bis auf weiteres nicht in die Tat umsetzt, was die Tragik ihrer Situation hervorhebt. Anhand der verschiedenen Stationen ihres Lebens ist zweifelsohne ersichtlich, dass sich Rin trotz aller Änderungswünsche doch mehr oder weniger ständig im Kreis dreht. In durchweg jedem der dargestellten Lebensjahren grübelt Rin ins fast schon Philosophische hinein, reflektiert ihr Verhalten im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Erwartungen und erkennt Fehler und Möglichkeiten, solche zu umgehen. Doch es führt zu nichts. Ihre Krankheit, ihr Umgang, ihre Todessehnsucht und damit oftmals einhergehende Gleichgültigkeit ihrem Leben gegenüber, zieht sie immer wieder nach unten. Und egal wie sehr sie sich abstrampelt, ihre Wünsche und Visionen in die Tat umzusetzen, das Milieu aus dem sie Kommt und in dem sie sich jahrelang bewegt, erlaubt ihr keine großen Sprünge in eine blühende Zukunft. Vergangenheit und Gegenwart halten sie in ihrem Kreislauf strikt gefangen und ziehen sich konsequent durch die fortschreitende Entwicklung. Es ist schon fast Mitleid erregend, zuzusehen, wie sich dieses Mädchen nach der heilen Welt sehnt, nach Liebe und Geborgenheit, doch ständig nur vor den Kopf gestoßen wird und mit ihrem eigenen Trotzverhalten die Dinge eher verschlimmert, statt sie zu verbessern. Rin befindet sich in einer Spirale der Hilflosigkeit, aus der es aus eigener Kraft kein Entrinnen für sie gibt. Schon ihre Eltern konnten ihr keine Stabilität bieten und auch ihre diversen Beziehungen stellten nicht den benötigten Anker dar, den sie benötigt hätte. Jeder Freund hat seine eigenen Schwerpunkte und Schwächen, die für ihn im Fokus stehen. Rin und ihren Problemen kommt dabei nur eine untergeordnete Rolle zugute. Sie tut alles, um dem Partner an ihrer Seite zu gefallen, verbiegt sich und verliert sich schließlich selbst. Doch nur bis zu einer gewissen Grenze. Ist diese erreicht, rebelliert sie ohne Rücksicht auf Verluste. Die schlechten Erfahrungen unterstreichen die, durch ihre Krankheit hervorgerufenen, Ängste und prägen zusammen mit dem resultierenden Fehlverhalten die Persönlichkeit Rins. Die Lektüre des Romans weckt vielerlei Emotionen und regt zum Nachdenken an! In dieser Abhandlung steckt generell gesehen wohl leider genauso viel Fiktion wie Realität. Rin ist mit Sicherheit kein Einzelfall in der heutigen Gesellschaft, gleich welchen Landes. Abschließend bleibt für mich bezüglich des vorliegenden Romans die Frage offen: Hat Rin mit den Berichten aus verschiedenen Altersstufen lediglich ihren Auftrag der Autofiktion erfüllt und hat dies alles gar nicht stattgefunden, oder aber steckt vielmehr ein Großteil Autobiographie in diesen Worten, weshalb es ihr auch plötzlich so leicht fiel, leere Seiten zu füllen, sobald ein weiters Mal eine ihrer Beziehungen zerbricht? Auch, wenn sich dieser Gedankengang nicht mit dem Klappentext deckt, so stellt er doch vielmehr Originaltitel und Arbeitsauftrag innerhalb der Handlung des Buches dar. Autofiktion meint eine erfundene Geschichte im Stile einer Autobiographie. Ein Roman, der die Frage aufwirft, ob es sich wohl um ein tatsächliches Erlebnis des Autors handelt, im Gegensatz zur echten Autobiographie, die die eigene Lebensgeschichte wahrheitsgetreu aus subjektiver Sicht wiedergibt. Das Cover und die Aufmachung des festen Einbands des Buches in rot und schwarz finde ich sehr gelungen. Es wirkt sehr extrem und spiegelt dadurch nach meinem subjektiven Empfinden den Kontrast in Rins Leben gut wider. Fazit Obsession ist weniger zu reinen Unterhaltungszwecken geeignet, als viel mehr zum Mit- und Nachdenken. Als interessante Charakterstudie eines kranken Menschen gefällt es mir ausgesprochen gut! Die Thematik wurde einwandfrei umgesetzt. Die Autorin hat außerdem mit ihrem Roman ihr Ziel im Falle meiner Person erreicht: Für mich steht eindeutig die Frage im Raum, die eine Autofiktion Kraft ihrer Bedeutung zu stellen hat: Fiktion oder wahres Erleben?
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