Rezension zu "Im Anfang war der Wasserstoff" von Hoimar von Ditfurth
Der Arzt und Wissenschaftsjournalist Hoimar von Ditfurth widmete sein Lebenswerk der Verbreitung der naturwissenschaftlichen Erkenntnis, sowohl als Autor verschiedener populärwissenschaftlicher Bücher als auch als Fernsehmoderator und als Begründer und Herausgeber der wissenschaftlichen Zeitschrift ‚Mannheimer Forum’. Dabei ging es ihm immer darum, den Blick über den Zaun auf andere Fachgebiete und auf das grosse Ganze zu ermöglichen. Ditfurths Buch, ‚Der Geist fiel nicht vom Himmel’ ist eines der besten populärwissenschaftlichen Bücher aller Zeiten. Dies sei klargestellt, bevor ich das vorliegende Buch kritisiere. Denn bei diesem sind Ditfurth leider eine ganze Reihe von Ungenauigkeiten unterlaufen.
Z. B. auf S. 35 zur Relativitätstheorie: Wenn ein Beobachter in einem Raumzeit-Punkt A das Licht von zwei Vulkanausbrüchen gleichzeitig bei A ankommen sieht, so kommen die Lichtstrahlen für jeden anderen Beobachter in A ebenfalls gleichzeitig an. Unterschiedlicher Ansicht sind die Beobachter nur, wenn beide ausrechnen, wann die Vulkane ausgebrochen sind. Das Ereignis, dass die Lichtstrahlen bei A zusammentreffen, ist für alle Beobachter gleich.
Auf S. 41 zum kosmologischen Term: Tatsächlich fügte Einstein seinen Feldgleichungen einen kosmologischen Term hinzu, der bewirken sollte, dass das Universum statisch ist. Als er erkannte, dass das Universum sich ausdehnt, nahm er diesen Term aber nicht ‚stillschweigend’ heraus, sondern er nannte ihn ‚die grösste Eselei meines Lebens’.
Auf den Seiten 122 und 123 sind eine Reihe wichtiger Moleküle modellhaft aber sehr unglücklich abgebildet. So ist z. B. das CO2 Molekül ist gewinkelt gezeichnet. Wenn es so wäre, wäre Kohlendioxid bei Zimmertemperatur flüssig. Bei den anderen Molekülen verwirrt, dass die dreidimensionale Struktur falsch wiedergegeben ist. Zwar sind alle Atome als schief hinter einander liegende Kugeln gezeichnet, aber so, als wären sie alle Atome in einer Ebene. Wenn die grafische Darstellung den Eindruck erweckt, es handle sich um ein dreidimensionales Abbild, dann sollte die räumliche Anordnung auch einigermassen stimmen.
S. 240 Der Birkenspanner ist ein schlechtes Beispiel für die Evolution. Wenn in einem Gebiet durch Abgase die Birkenrinde dunkel wird, gibt es dort schon nach wenigen Generationen viel mehr weisse Birkenspanner als dunkle. Dabei verändert sich aber am Genpool nichts. Denn zu jeder Zeit gibt es sowohl weisse als auch dunkle Birkenspanner. Wenn die Birken weiss sind, überleben die weissen besser als die dunklen. Es hat sich aber nicht eine neue Eigenschaft entwickelt.
S. 285 Es gibt gute Gründe für die Annahme, dass die Dinosaurier Warmblüter waren (siehe Adrian Desmond, ‚Das Rätsel der Dinosaurier’). Ditfurths Überlegungen, dass die damalige Tierwelt nachts still war, weil nur Warmblüter nachtaktiv sind, passen daher wohl nicht.
S. 310: Ausführlich beschreibt Ditfurth Versuche, die Georges Ungar und James McConnell in den 60er Jahren durchgeführt hatten und die angeblich zeigen, dass Erinnerung auf Molekülen, möglicherweise auf der RNA gespeichert werde. Bei den Versuchen wurde Plattwürmern mittels Licht und Elektroschocks ein bestimmtes Verhalten antrainiert. Danach wurden die Würmer zermalmt und anderen Würmern verfüttert, die danach dasselbe Verhalten schneller erlernen sollten. Die nicht ganz ernst gemeinte Empfehlung an Studenten lautet: „Verspeisen Sie Ihren Professor!“ – Tatsächlich konnten die Versuche nie überzeugend repliziert werden, was sich schon sehr bald abzeichnete, nachdem Hartry, Keith-Lee und Morton 1964 die Versuche unter strengeren Bedingungen wiederholt hatten und nachdem Jensen 1965 in einer Übersichtsstudie zeigte, dass sämtliche Studien, die eine Lernübertragung bei Plattwürmern nachgewiesen haben sollen, ernste methodologische Fehler aufwiesen (Ruch, Zimbardo, ‚Lehrbuch der Psychologie').
S. 346 Anmerkung 6: Zwar ist das Universum rund 13 Milliarden Jahre alt und bekanntlich kann sich nichts schneller als mit Lichtgeschwindigkeit durch den Raum bewegen. Das bedeutet aber nicht, dass wir nur 13 Milliarden Lichtjahre weit sehen können. Die entferntesten sichtbaren Galaxien sind heute wesentlich weiter als 13 Milliarden Lichtjahre von uns entfernt. Dies ist möglich, obwohl sie sich durch den Raum stets langsamer als das Licht bewegt haben. Aber weil der Raum zwischen uns und den Galaxien sich ausgedehnt hat, ist der Abstand heute doch viel grösser.
An mehreren Stellen wählt Ditfurth Worte, die leicht teleologisch missverstanden werden könnten: Als gäbe es einen Plan im Universum, als wäre schon immer eine höhere Intelligenz da gewesen, die gezielt auf den bewusst denkenden Menschen hingearbeitet hätte. Ditfurth erklärt diese Worte im Anhang damit, dass „unsere Sprache nun einmal unausweichlich ‚anthropozentrisch’ gebaut“ sei. „Deshalb aber sind diese scheinbar teleologischen Formulierungen das relativ beste Mittel, wenn es darauf ankommt, komplizierte Sachverhalte so kurz und einfach wie möglich darzustellen.“
Missverständlich sind die Formulierungen eben doch.
Neben diesen Ungenauigkeiten gibt es eine Reihe ausgezeichneter Erklärungen. Dennoch empfehle ich zu diesem Thema andere Bücher:
Zur Entstehung der Elemente Stephen Weinberg, ‚Die ersten drei Minuten’.
Zur Entstehung des Lebens Nick Lane, ‚Verblüffende Erfindungen der Evolution’.
Und zur Evolution des Bewusstseins ganz heiss empfohlen: Hoimar von Ditfurth, ‚Der Geist fiel nicht vom Himmel’.