Holger Kuße

Zu Lebzeiten schon unglaublich erfolgreich und unglaublich umstritten. Ein Autor, der auch heute noch zwischen Vergessenheit, Medienhype und Shitstorm steht. Doch was ist an den Vorwürfen dran? War Karl May Antisemit? Rassist? Fanatischer Christ? Frauenfeind? In diesem Buch wird sich mit Vorwürfen und Vorurteilen wissenschaftlich auseinandergesetzt. Literaturwissenschaftler, Lehrer, Germanisten, wissenschaftliche Mitarbeiter des Verlags nehmen die Vorwürfe kritisch unter die Lupe und suchen nach Belegen und Widersprüchen im Werk und Leben des Autors. Dabei wird sowohl die Primärliteratur Karl Mays als Grundlage genommen als auch das, was ihm in seiner Zeit an Büchern und Wissen zur Verfügung stand, Kultur und Gesellschaft, die ihn prägten, Menschen, die von ihm profitierten. Dieses Buch ist keine blauäugige Widerlegung unliebsamer Anschuldigung durch Hardcore-Fans, sondern bietet auf wissenschaftlicher Grundlage das Bild einer Zeit, die wir in der Form gar nicht kennen und eines Autors, der Generationen geprägt hat und unwiderlegbar Motive ins Zentrum seines Werkes gestellt hat, die seiner Zeit weit voraus waren – und es unserer Zeit auch noch sind, wie wir bitter erfahren müssen: Ein kultur- und religionsübergreifender Weltfrieden. 

Karl May wird hier nicht verklärt. Es wird Widersprüchen und Merkwürdigkeiten nachgespürt, sie werden auf den Punkt gebracht und in das große Ganze von Werk und Medienausschlachtung eingeordnet. Die Autoren haben sich nicht nur ein oder zwei Themenkreise herausgegriffen, sondern tatsächlich das Gesamtwerk für die einzelnen Analysen herausgegriffen. Von der Darstellung des Juden und des Islams, über die Wahl der Schurken bis hin zu seinem symbolisch-phantastischen Spätwerk wird hier sein gesamtes Schaffen und dessen Voraussetzung unter die Lupe genommen.

Man muss kein Kenner Karl Mays sein, um dieses Buch zu verstehen. Wichtige Passagen werden zitiert oder zusammengefasst. Die Aufsätze selbst bieten eine großartige kriitische Analyse der Streitthemen, die bis heute immer wieder aufkommen. Gleichzeitig erhält man einen Einblick in Kultur-, Medien-, Text- und Editionsgeschichte, die nicht nur den Autor Karl May verständlicher machen, sondern das gesamte Zeitgeschehen von damals bis heute. Die Auswandererkultur des 19. Jahrhunderts, die Medienverarbeitung großer Ereignisse wie dem Boxeraufstand und vieles mehr. Nicht zuletzt Karl Mays Freundschaft mit Bertha von Suttner, der ersten Friedensnobelpreisträgerin, ist ein sehr interessanter Aspekt.

Besonders faszinierend fand ich, dass hier auch auf die Arbeit des Karl-May-Hauses und Karl-May-Verlags eingegangen wird. Der lebhafte Kulturaustausch mit amerikanische Ureinwohnern und Universitäten. Oder auch die Erfahrungsberichte eines Lehrers, der seinen Schülern Karl May zu lesen gab und ihnen damit die Welt der Bücher eröffnete – und erstaunliche Rückmeldungen eines moslemischen Schülers zu Mays Orientbänden.

Wer mehr zu den strittigen Themen, um Karl May, sein Leben und Werk, erfahren will, ist hier genau richtig. Nicht nur Kenner und nicht nur Fans kommen hier auf ihre Kosten. Sein Streitwert zeigt mehr als alles andere wie aktuell Karl May immer noch ist. Dieses Buch zeigt wie komplex die Streitsache ist. Wer keine Angst hat, Illusionen zu verlieren – sei es als Fan oder Gegner – der sollte unbedingt einen Blick in dieses Buch werfen. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis lädt dazu ein, weiterzulesen – ob Geschichte, Forschungsliteratur oder doch das Original selbst.

Ich bin von diesem Buch begeistert! Manche liebgewonnene Vorstellung von Karl May musste ich aufgeben anderes hat mir eine völlig neue Dimension erschlossen. Ein tolles Buch, das sich unvoreingenommen mit den Streitthemen auseinandersetzt und sie auf den Punkt bringt.