Rezension zu "Die Akte Tristan" von Horst Seidenfaden
Zum Inhalt: Kommissarin Anke Dankelmann erhält einen Anruf von einem sehr alten Mann, der von einem lange zurückliegenden mehrfachen Mord spricht, und sie um ein Gespräch bittet. Sie fährt in das Altersheim, in dem er lebt, und er erzählt ihr seine Geschichte, deren Hauptteil sich im Kassel des Jahres 1933 abspielte. Gleichzeitig kämpft die Kommissarin auf privater Ebene um ihren depressiven Freund.
Tja. Warum das Buch den Untertitel "Ein historischer Kriminalfall aus der NS-Zeit" trägt, weiß ich nicht so recht. Eigentlich geht es so gut wie gar nicht um einen Kriminalfall, wenn auch durchaus um einen Verbrecher aus der Nazizeit. Letztlich ist das Buch aber mehr die Erzählung eines Einzelschicksales eines jungen Mannes, der sich zunächst sehr von der neuen Ideologie begeistern lässt, auch SA-Mitglied wird, am Ende aber doch Skrupel bekommt. Es ist eine Liebesgeschichte, und ganz am Ende wird dann auch noch ein Nazi-Verbrecher festgenommen. Aber ein Krimi ist es nicht.
Grundlegend fand ich den Ansatz, zu versuchen, die Verstrickung eines jungen Mannes in die Nazi-Organisationen und die Rivalität zwischen SA und Gestapo darzustellen, ja gut. Aber an der Ausführung hapert es für mich doch etwas. Um es kurz und bündig auszudrücken: Über weite Strecken war mir einfach nur langweilig. Das liegt vermutlich zu einem großen Teil am ausschweifenden Schreibstil des Autors, der ständig erzählen zu müssen meinte, was seine Protagonisten aßen, welche Straßen sie nahmen, um irgendwohin zu kommen (und manchmal auch nur, wo sie herumliefen oder -fuhren, um die Zeit totzuschlagen - beides vermutlich absichtlich eingebaut, wegen des Regionalbezugs auf Alt-Kassel) und was sie auf ihren Schreibtischen hatten.
Dazu dann noch die unangenehme Art, alle Personen bei jeder Erwähnung, auch wenn man gerade in ihren Köpfen steckte, mit vollem Namen auszuschreiben - jedes Mal tut Anke Dankelmann dies oder das, trifft sich mit ihrem Kollegen Bernd Stengel oder denkt über ihren Freund Valentin Willimowski nach (wobei der letztere interessanterweise dann später doch meist nur noch mit einem Namensteil benannt wurde - unglücklicherweise mit dem distanzierten Nachnamen ...). Ich fand das äußerst irritierend und nervig.
Ehrlich gesagt war das, was mich am meisten berührt hat, die Nebenhandlung der kriselnden Beziehung der Kommissarin mit ihrem psychisch angeschlagenen Lebensgefährten. Die Erzählung des alten Mannes inklusive der Liebesgeschichte wirkte auf mich dagegen irgendwie belanglos und uninteressant. Zumal ich auch nicht das Gefühl hatte, den Protagonisten wirklich verstehen zu können - seine Faszination mit der SA und seine plötzlichen Gewissensbisse kamen beide völlig aus dem Nichts und waren für mich nicht nachvollziehbar. Seine Wandlung vom Saulus zum Paulus ging irgendwie unspektakulär und ohne innere Kämpfe vonstatten und wirkte dadurch auf mich nicht sonderlich glaubwürdig.
Lustig fand ich ja einige nordhessische Sprachgewohnheiten - an einer Stelle "macht" Anke Dankelmann doch tatsächlich die Reste ihres Essens in eine Dose und "tut" sie in den Gefrierschrank. ;-)
Fazit: Spannend war es zwar teilweise auch - an einigen wenigen Stellen -, und die Geschichte mit dem depressiven Partner war wirklich anrührend, aber ansonsten war es vor allem eins: sehr, sehr langatmig. Teilweise wiederholt sich der Autor auch noch. Das Buch hätte man gut und gerne auf die Hälfte der Seiten zusammenkürzen können. Ich glaube nicht, dass ich den Nachfolgeband unbedingt lesen möchte.