Rezension zu "Die Identität Israels" von Hubert Irsigler
Zugegeben, einige der Texte, die in Band 56 von Herders biblischen Studien als Zusammenfassung der Vortragsreihe zur Identität des alttestamentlischen Israel abgedruckt sind, können nur Literaturwissenschaftler lieben. Denn die Autoren des Buches sind nicht nur ausgewiesene Fachleute, die Vorträge und damit das Buch richten sich auch in erster Linie an solche.
Und trotzdem darf das Buch „Die Identität Israels“ durchaus auch kompetenten und interessierten Laien empfohlen werden, denen die Grundlagen der Exegese, der Methodik von Literaturkritik und Textanalyse ebenso wenig fremd sind, wie Aufbau, Struktur und Entstehungsgeschichte der Texte des alten Testamentes. Und mit einem entsprechenden Vorwissen der Geschichte des vorderen Orient, erschließt sich dem geneigten Leser nach Überwindung des ersten, explizit und für den Laien fast erbarmungslos wissenschaftlich- textanalytisch aufbereiteten Kapitels mit dem Titel „Konflikt und Konfliktlösung“ sehr bald der inhaltliche Reiz des gewählten Themas.
Populärwissenschaftlich sind die Texte an keiner Stelle und die Lektüre bedeutet Arbeit. Aber sie bringt auch Erkenntnis über die unterschiedlichen Konzeptionen der Identität und Einheit Israels, seinem religiösen und ethnischen Selbstverständnis im Kontext der jeweils konkreten politisch- historischen Situation. Denn das Selbstverständnis der Identität Israels, das wird in dem Buch deutlich, hängt nicht nur von den persönlichen Vorstellungen der Verfasser der Bibeltexte, sondern auch von politischen Notwendigkeiten und Interessen, von Macht- und Herrschaftsansprüchen und nicht zuletzt der gesellschaftlichen Verfassung ab. Und auch das Verhältnis Gottes zum Volk, zu seinen Führern oder zum Land und eben auch umgekehrt, definiert sich im Laufe der Geschichte recht unterschiedlich.
Vor diesem Hintergrund ist auch der Untertitel „Entwicklungen und Kontroversen in alttestamentlicher Zeit“ zu verstehen, die sich aus den Bibeltexten herauslesen lassen. Phasen des imperialistischen Anspruchs Israels sind in den Texten ebenso zu finden wie Phasen der Abschottung gegenüber den Nachbarvölkern, des Selbstverständnisses als auserwähltes Volk oder als ein Volk unter vielen. Und vor allem wird unter den Wissenschaftlern immer wieder die Frage diskutiert wer oder was galt eigentlich jeweils als Volk Israel. Ist das Volk in den Bibeltexten ethnologisch definiert, versteht sich Israel als eine gebietsbezogene Nation, ist gar jeweils nur das Nord- oder das Südreich gemeint, ist sein tatsächlicher oder mythologischer Ursprung von den und wenn ja von welchen Stammvätern maßgeblich? Definiert sich Israel über seinen Gott?
Die Auswahl der untersuchten alttestamentlichen Texte in „Die Identität Israels“ zeigt, dass eben auch hier Entwicklungen und Kontroversen, vor allem vor dem Hintergrund unterschiedlicher politischer Szenarien und Konstellationen im Laufe der Geschichte sichtbar werden. Was aber noch wichtiger ist, man begreift auch die Gründe und Intentionen der Verfasser, für ihre jeweils spezielle Sichtweise der Identität Israels. Natürlich ist in diesem Kontext die Frage nach der Rolle Gottes immer wieder ganz Wesentlich. Das ist bei der Untersuchung der Bibel ja nicht weiter verwunderlich. Tatsache aber ist, dass die Rolle der Götter oder auch des jeweils einzigen Gottes in der untersuchten Zeit für alle Zivilisationen, Völker und Mächte eine recht Zentrale und immer auch eine Politische war. Eine Rolle, die generell die Identität eines Volkes, einer Nation, eines Reiches im inneren und im Verhältnis nach Aussen bestimmt hatte.
Insofern ist das Buch „Die Identität Israels“ eben kein Religions- oder religiöses Buch. Es geht hier auch nicht um den Beweis der Identität oder Existenz Gottes. Ja es geht nicht einmal darum, die historische Wahrheit der Bibel zu belegen. Im Gegenteil, oft genug relativieren die Autoren die historischen Aspekte der Bibel vor dem Hintergrund archäologischer und historischer Quellen. Und so kommt es, dass der interessierte und arbeitsame Leser viel über das Thema, die Identität Israels im historischen Selbstverständnis aber auch aus der Sicht der Nachbarvölker erfährt.
Die Auseinandersetzung mit den Quellen zeigt eben auch, dass es sich hier um politische Texte handelt, die, wie alle Mythologien vor allem die Aufgabe hatten, eine wie auch immer geartete Identität einer Gemeinschaft zu stiften, Machtverhältnisse zu legitimieren das innere und äußere Verhältnis einer Gesellschaft über spezielle Regeln und Rituale (oder eben Gesetze, ob göttlich oder menschlich) zu organisieren.
Auch wenn der Herausgeber von „Die Identität Israels“ einen „Durchblick ohne Anspruch auf Vollständigkeit“ anstrebt, so ist die Untersuchung unterschiedlicher biblischer Literaturen mit Bezug auf verschiedene Epochen der Zeit- und Religionsgeschichte des alten Israel doch für die weitere, eigenständige Auseinandersetzung des Lesers mit dem Thema und der Bibel ungemein ergiebig. Nicht zuletzt wegen der sehr umfassenden Anmerkungen und Literaturhinweise zu jedem einzelnen Kapitel.