Vor kurzem habe ich auch "Doch das Messer sieht man nicht" von I.L. Callis gelesen. Das Buch ist 2024 in der Emons Verlag GmbH erschienen und als historischer Kriminalroman einzuordnen. Vielen Dank an dieser Stelle auch an den Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars im Rahmen einer Leserunde auf Lovelybooks.de.
Berlin, 1927: Anaïs Maar ist jung und schwarz, boxt und schreibt für ein Boulevardblatt. Als sie über eine Reihe von Prostituiertenmorden berichten soll, wittert sie ihre langersehnte Chance auf Anerkennung. Währenddessen tanzen die Berliner auf dem Vulkan – Luxus, Spekulation und nächtliche Exzesse stehen Arbeitslosigkeit, Inflation und menschlichem Elend gegenüber. Anaïs kämpft nicht nur gegen den "Ripper von Berlin", sondern auch mit den gefährlichen Vorzeichen eines dramatischen Epochenwandels.
"Doch das Messer sieht man nicht" ist eine bunte Mischung aus historischem Roman, Kriminalroman (wie auf dem Cover angegeben) und Thriller. Um die Selbsteinschätzung des Verlages beizubehalten, aber auch um den zentral wichtigen, handlungstreibenden historischen Hintergrund herauszuheben, habe ich mich schlussendlich für die Eingruppierung als historischen Kriminalroman entschieden, auch wenn sicherlich mindestens genau so viel für die Kategorisierung als historischer Thriller spricht.
Denn die Handlung startet zwar lose mit einem ungelösten Kriminalfall, weitet sich aber schnell aus zu einem Porträt der damaligen Zeit, deren Gefahren weit über das ursprüngliche Verbrechen - so grausam es auch war - hinausgehen. Dabei gelingt es der Autorin, ein authentisches und lebhaftes Porträt der damaligen Gesellschaft zu schaffen, das jedoch, selbst für mich als Brandenburger, durchaus anstrengend ist. So kann ich die in Berliner Mundart abgedruckten Dialoge durchaus noch verstehen und würdigen, dass die Charaktere jedoch auch im Dialekt denken, geht mir dann doch etwas zu weit. Auch ist die Auflösung der Handlung leider relativ früh absehbar, der Weg dorthin jedoch dennoch spannend und abwechslungsreich.
Das Setting begeistert hingegen auf ganzer Linie. So entführt I.L. Callis den Leser ins pulsierende Berlin der 20er Jahre, eine Zeit zwischen Aufbruch, internationalem Glamour und ersten nationalistischen Bestrebungen. Dabei gelingt es der Autorin gut die krassen Gegensätze zwischen arm und reich, zwischen Männern und Frauen, verschiedenen politischen Strömungen abzubilden, ohne zu sehr einen mahnenden Zeigefinger für die heutige Zeit durchscheinen zu lassen. Lediglich Josefines Handlungsstrang ist hier vielleicht etwas überproportional vertreten.
Die einzelnen Figuren sind im Wesentlichen vielschichtig angelegt, haben Stärken und Schwächen, eigene Ziele und Motive. Hierbei überzeugen insbesondere Valerie Maar und Matze als wichtige Nebenfiguren, aber auch Anais kann glänzen, während Maxim eher blass verbleibt. Der Schreibstil von I.L. Callis lässt sich dabei im Wesentlichen flüssig lesen, eine gezieltere Einbindung des Dialekts hätte hier jedoch für eine noch bessere Lesbarkeit gesorgt.
Die Buchgestaltung ist solide. Lektorat, Korrektorat und Buchsatz haben sauber gearbeitet, der Buchumschlag ist mit Klappen und farbigen, aber eintönigen, Coverinnenseiten versehen. die den Farbton des Buchrückens aufgreifen. Das Covermotiv mag zwar kunsthistorisch durchaus zur im Buch beschriebenen Epoche passen, für den heutigen Lesergeschmack empfinde ich es allerdings als zu stilisiert und nicht wirklich als Eyecatcher. Auch wird es leider drastisch zum Buchrücken hin unterbrochen, lediglich die Coverrückseite kann hier in ihrer Schlichtheit aufgrund der tollen Typographie etwas glänzen.
Mein Fazit? "Doch das Messer sieht man nicht" ist ein im Wesentlichen überzeugender historischer Kriminalroman, der mit einem tollen Setting und einer abwechslungsreichen Handlung glänzt, dessen Ende jedoch leider auch etwas vorhersehbar ist und der etwas zu stark auf den Berliner Dialekt setzt. Für Leser:innen des Genres dennoch bedenkenlos zu empfehlen - ab einem Lesealter von 16 Jahren.