Cover des Buches Der Zementgarten (ISBN: 9783257206487)
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Rezension zu Der Zementgarten von Ian McEwan

Eine Leiche im Keller...

von parden vor 7 Jahren

Kurzmeinung: McEwans Debütroman konnte mich nachhaltig beeindrucken: düster und faszinierend, morbide und spannend, tabulos und unfassbar.

Rezension

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pardenvor 7 Jahren
EINE LEICHE IM KELLER...

Ein Kindertraum wird Wirklichkeit: Papa ist tot, Mama stirbt und wird, damit keiner was merkt, einzementiert, und die vier Kinder - zwei Mädchen und zwei Jungen zwischen 6 und 16 - haben das große Haus in den großen Ferien für sich. Im Laufe des drückend heißen, unwirklichen Sommers kapselt sich die Gemeinschaft der Kinder mehr und mehr gegen die Außenwelt ab, und keiner merkt, daß etwas faul ist.

Bewusst stelle ich hier den Klappentext voran, denn bereits hier wird deutlich, weshalb ein Spitzname des Autors 'Ian McAbre' lautet - Ian, der Makabere. Ein Kindertraum? Aber sicher doch...

Nach dem plötzlichen Tod des Vaters ist eher Erleichterung denn Trauer zu verspüren, denn der Despot hatte seine Familie gut im Griff. Doch bald darauf beginnt es der Mutter schlechter zu gehen, bis sie nur noch im Bett bleibt. Die vier Kinder scharen sich so oft es geht um sie, der Kleinste, Tom, klettert häufig genug zur Mutter ins Bett, die Aufgaben im Haushalt übernehmen die Älteren. Trotz langer Krankheitsphase trifft es die Kinder hart, als sie die Mutter eines Tages tot im Bett vorfinden. Jack, dem Vierzehjährigen, aus dessen Perspektive die Geschichte erzählt wird, sowie seiner zwei Jahre älteren Schwester Julie ist klar, was passieren wird, wenn sie den Tod ihrer Mutter offen machen: die Geschwister werden auseinander gerissen.


"Als wir sie auf das Laken niederlegten, sah sie so gebrechlich und traurig aus in ihrem Nachthemd, vor unseren Füßen liegend wie ein Vogel mit einem gebrochenen Flügel, daß ich zum erstenmal über sie weinte und nicht über mich." (S. 92)


So beschließen sie gemeinsam, den Zement, den ihr Vater dazu verwenden wollte, den Garten zu planieren, dazu zu nutzen, ihrer Mutter ein Grab im Keller zu schaffen. Das Geheimnis, die Trauer, die Sprachlosigkeit - eine ungesunde und explosive Mischung, die nicht spurlos an den Kindern vorübergeht. Ein drückend heißer Sommer, Ferien, ein Wohngebiet, in dem kaum noch Häuser stehen und wo jeden Tag weitere Gebäude abgerissen werden, keine Freunde der Familie, niemand, der sich Sorgen macht - die vier Geschwister haben niemanden und bleiben sich selbst überlassen. Verwahrlosung, Isolierung, Einsamkeit, kein Raum für ein Miteinander - eine im Untergrund gärende Lage, die kein gutes Ende erwarten lässt...


"Als meine Mutter starb, lag unter meinen stärksten Regungen ein Gefühl von Abenteuer und Freiheit, das ich mir kaum einzugestehen wagte." (S. 98)


Die Abgründe der Jugend - in seinem Debütroman seziert Ian McEwan eine hoffentlich unvorstellbare Situation. Die Isolierung bekommt schließlich durch einen Freund Julies einen Riss, wodurch das in Schieflage gebrachte Familiengefüge gefährlich ins Wanken gerät. Die Pubertät Jacks verschärft die Konstellation zusätzlich, und der Junge schwankt zwischen Apathie und Aggression, leidet zunehmend an Albträumen und ist letztlich ebenso hilflos wie seine Geschwister. Der kleine Tom verfällt in eine Regression, wird zum Kleinkind, und Julie übernimmt immer mehr die Mutterrolle, der 15jährige Jack schließlich auch die Vaterrolle. Doch beide sind wie mit allem anderen damit heillos überfordert.


"Außer, wenn ich in den Keller gehe, ist mir, als ob ich schlafe. Es gehen ganze Wochen vorbei, ohne daß ich es merke, und wenn du mich fragst, was vor drei Tagen war, weiß ich es nicht." (S. 199)


Meine Güte, was für ein verstörendes Buch! Traumartig erscheinen die Schilderungen des Geschehens, gefangen in klebrigheißen Sommmertagen, ein Ineinanderfließen der Zeit, überwuchert von einem süßlichen Verwesungsgeruch. Ian McEwan hat es geschafft, nicht nur glaubhaft darzustellen, dass es Jack - und vielleicht auch den anderen Kindern - so vorkam, als schliefen sie (wenn sie nicht gerade im Keller bei ihrer toten Mutter waren), sondern mich als Leser gleich ebenfalls Teil dieses Albtraums werden zu lassen. Dabei agiert McEwan gnadenlos und schreckt vor keinen Konsequenzen zurück, alles wird hier ausgelebt ohne eine Korrekturmöglichkeit von außen.

Das Ende schließlich ist das einzig mögliche in meinen Augen. Auch wenn es im Grunde offen ist - es schließen sich zahllose Fragen an, die Zukunft betreffend - ist hier gewissermaßen ein Schlusspunkt gesetzt. Eine Erlösung für den Leser, der von Anfang an hineingesogen wird in die Geschichte, ihr kaum entkommen kann. Düster und faszinierend, morbide und spannend, tabulos und unfassbar.

In jedem Fall ein Roman, der mich nachhaltig beeindrucken konnte.


© Parden

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