Cover des Buches Schattenjahre (ISBN: 9783765542947)
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Rezension zu Schattenjahre von Ilona Krömer

Suizid - der Tod ist nicht das Ende (für die Hinterbliebenen)

von JDaizy vor 8 Jahren

Rezension

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JDaizyvor 8 Jahren
"Es waren Sekunden, wir rannten wie verrückt durch alle Räume und hofften, dass es noch nicht zu spät war. Schließlich fanden wir meinen Vater in einem Lagerraum seiner Buchbinderei. Er hatte sich an einer Wasserleitung über einem Fenster erhängt.
Und wieder war es zu spät. Und wieder fing ich einen Elternteil auf, während Uli diesmal das Seil durchschnitt."



"Schattenjahre" ist eine autobiographische Erzählung, in der die Autorin offen und (am Ende) reflektiert über den Verlust ihrer Eltern berichtet. Als sich ihre Mutter das Leben nimmt, bricht für die Familie eine Welt zusammen. Sie nimmt ihren Vater sofort zu sich und sie geben sich gegenseitig Halt. Doch auch das kann nicht verhindern, dass er wenig später seiner Frau in den Freitod folgt.
Bilder die man nie im Leben wieder vergisst. Fragen, die für immer unbeantwortet bleiben. Und eine tiefe Trauer, die einen zu ersticken droht.
Hätte sie den Tod ihrer Eltern irgendwie verhindern können? Kann der Glaube an Gott sie durch die schwere Zeit der Verzweiflung tragen? Und wird die ihren Eltern den Schritt in den Freitod jemals verzeihen können?

Neben der eigenen Aufarbeitung spricht die Autorin dabei auch den Umgang von Außenstehenden mit Hinterbliebenen an. Sie selbst hat sehr unterschiedliche Erfahrungen machen müssen: mit Psychologen, in der Familie, mit Freunden und Bekannten oder Menschen im Wohnort.
"Für einen kurzen Trost gab es viele, was fehlte, waren die Menschen, die mir mehr Zeit schenkten als nur den Augenblick."
Besonders betroffen haben mich ihre Aussagen gemacht, dass es Menschen gab, die sich an ihrem Schicksal geweidet haben, dass sie in den schwersten Stunden ihres Lebens Isolation und Ausgrenzung erfahren musste und das Gerüchte über den möglichen Grund der Selbsttötung ihrer Eltern in Umlauf gebracht wurden.

Dieses Buch ist für die Autorin deshalb nicht nur eine Erinnerung an ihre Eltern, sondern eine Form der Aufarbeitung für sich und ihre Familie. Aber eben auch ein Appell an die Öffentlichkeit, sich mit dem Thema Suizid nicht nur hinter vorgehaltener Hand auseinanderzusetzen. Am eigenen Leib hat sie - manchmal auch mit wenig Sensibilität - erfahren müssen, wie Hinterbliebene nicht nur mit dem schweren Verlust eines geliebten Menschen zurechtkommen müssen, sondern auch zu unrecht unter Vorurteilen und Ausgrenzung leiden. Diese Worte sollten wirklich jeden von uns zu denken geben.

Ich habe nach dem Lesen über viele grundsätzliche (Lebens-)Fragen nachgedacht.
Ist ein Vergeben / Verzeihen in solch schwierigen Ausnahemsituationen möglich und wenn ja wie? Wo findet man Trost, wenn man sich von seinem Umfeld unverstanden und allein gelassen fühlt? Und wann ist ein Leben nicht mehr lebenswert?

Am Schluss konnte ich die Tränen dann nicht mehr zurückhalten, als die Autorin an ihre Familie schreibt. Ich wünsche mir von ganzen Herzen, dass dieser Schritt der Aufarbeitung ein festes Fundament für die Zukunft sein kann, auf dem sie gemeinsam als Familie aufbauen können.
Vielen Dank an die Autorin für so viel Offenheit und persönliche Einblicke, in ein wirklich emotionales und sensibles Thema.


Das Buch ist 2016 als Taschenbuch im Brunnen-Verlag erschienen. Besonders gelungen finde ich die Covergestaltung.
Es ist Herbst und die Blätter fallen. Der Sommer geht vorbei. Das Ende einer Jahreszeit, vielleicht auch das Ende eines Lebenszyklus. Ich nehme an, dass die zwei großen, verdorrten Blätter rechts unten ihre Eltern symbolisieren. Sie sind gegangen. Gefallen.
Aber da ist Licht, das durch die fallenden Blätter fällt und davor ein kleines Pflänzchen, das dem Licht zustrebt. Da ist also nicht nur Vergänglichkeit, sondern auch Hoffnung. Wo ein Leben geht, beginnt ein neues.
Etwas was mir weniger gut gefallen hat, ist, dass sich das Buch nicht richtig aufschlagen lässt. Selbst wenn man es mit Kraft auseinanderdrückt, schließt es sich beim Lesen immer wieder von allein.

Der Schreibstil der Autorin ist einfach und lässt sich leicht lesen. Das Buch ist chronologisch aufgebaut und schildert die Gefühle der Autorin aus zwei Perspektiven. Beide Perspektiven sind in unterschiedlichen Textarten abgedruckt, um ihre Erlebnisse von damals klar von ihren heutigen Gedanken zu trennen und für den Leser sichtbar zu machen. Schritt für Schritt kann man so die Entscheidung zum Suizid der Eltern und die Entwicklung der Autorin in ihrer Trauerarbeit nachverfolgen.


Fazit:
Ein sehr persönliches, offenes und emotionales Buch, dass autobiographisch einen Schritt nach vorn geht, um das Tabu "um den Suizid in der Familie" weiter in die Öffentlichkeit zu holen.
Ein Buch, dass zum Nachdenken anregt.
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