Rezension
„Die Kinder der Nacht - Verlorene Seelen“
von Ilona Sonja Arfaoui
Im Juli 2023 schrieb ich eine Rezension zu „Der König der Schatten“. Da ich Bücher, deren Umfang ca. 300 Seiten nicht übersteigt, angenehmer zu lesen finde, las ich die Trilogie nicht weiter, da Band zwei für meinen persönlichen Lesegeschmack einfach zu umfangreich ist und mich tatsächlich durch seine pure Seitenzahl abgeschreckt hat.
Im Mai 2024 ist „Die Kinder der Nacht – Verlorene Seelen“ erschienen, das kompakte 260 Seiten umfasst. Es gab keine Entschuldigung mehr für mich, es nicht zu kaufen. Jetzt habe ich es endlich von meinem Stapel ungelesener E-Books gezogen und jeweils nach Feierabend innerhalb einer Arbeitswoche ausgelesen!
Zum Inhalt:
Wir begleiten den Schriftsteller Kilian Dvorak, von seinen Freunden „Dworschak“ genannt, ins Stuttgart des Jahres 2018. Nach dem Scheitern seiner Ehe ist er in der Wohnung einer Freundin (Sophia) untergekommen und hält sich finanziell über Wasser, indem er eigene Horrorgeschichten für eine Romanserie schreibt und die Gruselstorys eines schottischen Autors für dieselbe Serie übersetzt.
Zwar träumt er seit Jahren davon, einen anspruchsvollen Schauerroman zu schreiben, doch scheitert er daran, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen, auch wenn ich beim Lesen seiner Geschichte das Gefühl hatte, dass er mehr als das nötige Talent dafür besitzt. Teilweise steht er sich selbst furchtbar im Weg, teilweise ist es sein ungesunder Lebensstil, vor allem der übermäßige Alkoholkonsum, der dieses für ihn eigentlich immens wichtige Projekt zu blockieren scheint. Während Kilian in Sophias Wohnung vor sich hin dümpelt, tauchen auf mysteriöse Weise Erzählungen in einem Notizbuch auf, eine nach der anderen, meist wenn Kilian eine Situation durchstanden hat, die ihn mental völlig überfordert hat. Sie berichten von insgesamt sechs Kindern, die durch furchtbare Umstände zu Tode kamen, und von sechs Vätern, die an ihrer eigenen Schuld verzweifeln. Niedergeschrieben sind die Geschichten in Kilians allerbester Handschrift – an den Vorgang des Schreibens hingegen kann er sich nicht erinnern.
Im Verlauf diverser Rückblenden erfahren wir u.a., wie der Protagonist zur Vollwaise wurde und wie er seinen Weg in die illustre Runde um den exuberanten Verleger Konrad, dem Herausgeber der oben genannten Horrorserie, fand.
Als das Jahr voranschreitet, entwickelt Kilian eine Freundschaft zur rätselhaften Ophelia und deren ebenso rätselhaftem Großvater. Ophelia ist eine junge Künstlerin, die Sophias Wohnung als Atelier benutzt. Ihre Bilder sind eindringlich, besonders die Porträts.
Anlässlich einer Vernissage ihrer Werke kommt es zum Eklat ...
Fazit:
Die Autorin hat einen prägnanten Schreibstil, der trotz oder gerade wegen seiner Eigenheiten ein bildgewaltiges Kopfkino erschafft. (Ich nenne exemplarisch die „spanische Kneipe um die Ecke mit dem japanischen Namen und dem griechischen Wirt“.)
Wollte man die Erzählung in eine der heutzutage allgegenwärtigen Genre-Schubladen stopfen, käme man wohl am ehesten bei „Urban Fantasy“ heraus, was ich allerdings falsch finde, da „Die Kinder der Nacht“ nach etwas vollkommen Eigenes sind. Realität, Historie, Fiktion und Phantastik vermischen sich perfekt.
Dieses Buch ist kein „netter Zeitvertreib“, den ich „mal zwischendurch recht gern gelesen“ habe. Ich finde, es ist sowohl thematisch als auch stilistisch ein Stück Literatur, das sich mit vielen Klassikern bequem messen kann!