Inhalt
Das Leben der 32 Jahre alten Marie bricht eines Tages abrupt und irreparabel auseinander – auf dem Nachhauseweg wird sie vom Direktor ihrer Bank in dessen Auto brutal vergewaltigt. Doch sie beschließt ihr Leben weiterzuleben, ohne Rachegelüste, ohne eine Anzeige, möglichst unscheinbar durch jeden weiteren Tag ihres Daseins. Weder ihr Mann, noch die Familie, noch Freunde werden eingeweiht. Die körperlichen Schmerzen vergehen, die seelischen Kratzer wachsen sich unterdessen zu schwerwiegenden, depressiven Gedankengängen aus. Als sie nach kurzer Zeit merkt, dass sie schwanger ist, bricht ihre Welt endgültig zusammen – das Kind des Vergewaltigers hasst sie schon lange vor dessen erstem Atemzug und sie muss nur noch entscheiden, welches Leben sie zuerst auslöschen soll: ihr eigenes, erbärmliches, beschmutztes Lügendasein oder das ihres ignorant-perfekten Mannes oder doch eher das des teuflischen Kindes …
Meinung
Von dieser Lektüre habe ich mir ergreifende, beängstigende Lesestunden erhofft und genau diese auch bekommen. Das Buch ist harter Tobak, stellenweise extrem vulgär, dann wieder erschreckend klar und messerscharf. Vor allem aber zeigt es einen authentischen, extremen Werteverfall und Realitätsbezug einer gepeinigten Seele. Von der geliebten, gutaussehenden jungen Frau, mit Träumen und Plänen, bleibt nur noch eine leere Hülle, reduziert auf die Abscheulichkeiten, die ihr angetan wurden. Der Lebenssinn ist ihr abhandengekommen, eine Zukunft ist nicht nur bitter, sondern schier unmöglich. Und über all dies breitet sie ganz bewusst den Mantel des Stillschweigens, hoffend und bangend gleichermaßen, das wenigstens einer ihrer nahen Angehörigen etwas merken würde. Doch ihre Stille wird missverstanden – keiner ahnt die wahren Gründe, jeder hat andere praktische Ratschläge parat und dort wo einst Liebe war, existiert nur noch Unverständnis gefolgt von abgrundtiefem Hass.
Fazit
Ich vergebe begeisterte 5 Lesesterne – ein echtes Highlight, trotz der Kürze des Buches und des gewählten Abstandes, den die französische Autorin mittels der dritten Person Singular kontinuierlich aufrechterhält. Selten habe ich beim Lesen so viele Gefühle durchlebt, ohne sie auch nur annähernd nachempfinden zu können. Es fiel mir zunächst sehr schwer, mich in die Gedanken der Gepeinigten hineinzuversetzen, denn fast all ihre bewussten Entscheidungen hätte ich wohl anders gefällt. Doch es geht hier nicht um Mitleid oder Identifikation, entworfen wird ein Drama, eine strudelnde Existenz, die jeden Moment auseinanderbrechen kann. Zumal das Ende der Story bereits ganz zu Beginn aufgezeigt wird – weder Ausgleich noch Hoffnung, sondern nur ein klaffendes Loch voller Schmerz. Die Lektüre rüttelt wach, sie appelliert, sie zerstört und bringt Gefühle an die Oberfläche, die gern verschwiegen werden. Sehr psychologisch, extrem faszinierend und beängstigend. Vor allem, weil der Wahrheitsgehalt all dessen nicht eine Minute angezweifelt wird. Solche Dramen wird es geben und vermutlich sind sie näher, als man denkt.