"Die heilige Jungfrau vom Nil" spielt im Ruanda der 1970er. Schauplatz ist ein kolonial geprägtes christliches Mädcheninternat, in dem Mädchen aus den wohlhabenden Familien auf ihr Leben als Ehefrauen wichtiger Männer vorbereitet werden. Die heilige Jungfrau ist dabei nicht nur der Name des Internats, sondern auch der Name einer Schwarzen Marienstatue, zu der die Schulklassen jährlich pilgern. Entsprechend der schon bestehenden Spannungen in der Gesellschaft sind die Mehrheit der Schülerinnen Hutu, nur die wenigen "Quoten"-Tutsi sind ebenfalls im Internat und dort regelmäßigen Schikanen durch die Hutu-Schülerinnen ausgesetzt, die sich als Angehörige des besseren Volks wähnen.
Die Kapitel greifen einzelne Situationen im Schulalltag heraus, die jährliche Pilgerei zur Marienstatue, den streng konservativ-christlichen, tabuisierten Umgang mit Sexualität und Monatshygiene, den anstehenden Besuch des belgischen Königspaars. Immer wieder greift Mukasonga dabei auch auf traditionale ruandische Elemente zurück, webt Mythen und Sagen aus dem Volksglauben ein und lässt die Mädchen mit diesen in Kontakt treten. So verdeutlicht sie nicht nur den großen Einfluss der v.a. belgischen Kolonialzeit und christlichen Missionierung auf die ruandische Gesellschaft, sondern arbeitet auch geschickt die zunehmenden Spannungen zwischen Hutu und Tutsi in der ruandischen Gesellschaft heraus. Als Leser*in erfährt man so nicht nur Wissenswertes, sondern kann vor allem die komplexen Spannungen in der ruandischen Gesellschaft, die sich schließlich auch im Genozid entluden, besser greifen. Tradition und Moderne, Orientierung an der ehemaligen Kolonialmacht vs. Selbstbestimmung, Christentum vs. andere Religion, Weiße und Schwarze tragen zur Spaltung bei und verstärken die Feindbilder. Gleichzeitig positionieren sich die im Buch vorkommenden Hutu wie Tutsi in Bezug auf diese Spannungen, rechtfertigen ihre Existenz durch den Rückgriff auf die Geschichte.
Ein beeindruckendes Buch, das es verdient hätte, bekannter zu sein.
"Nur" 4 von 5 Sternen gibt es allerdings, weil ich relativ lang gebraucht habe, um in das Buch hineinzufinden - der Stil ist eigenwillig und hat mich anfangs nicht ganz abgeholt - und weil ich leider große Schwierigkeiten mit dem Layout des Buchs hatte. Die Schrift war sehr klein, was das Lesen anstrengend gemacht hat. Hier wäre es sinnvoller gewesen, das Buch vielleicht um ein paar mehr Seiten zu erweitern und dafür eine größere Schrift zu wählen.