Ingeborg Schmutte

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Cover des Buches Mein Lachen und Weinen. (ISBN: 9783940435354)
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Rezension zu "Mein Lachen und Weinen." von Maryse Condé

Buecherschmaus
Eine karibische Kindheit

Maryse Condé erzählt in ihrem im Original bereits 1999 erschienenen Memoir Mein Lachen und Weinen „wahre Geschichten aus meiner Kindheit“. Vor dem Erfolg ihrer Autobiografie Das ungeschminkte Leben, in der sie über ihr Studentenleben in Paris und den Weg als alleinerziehende Mutter nach Westafrika schreibt, zeichnete sie darin das Leben der Schwarzen Oberschicht auf den französischen Antillen in den 1940er und 1950er Jahren auf.

Geboren wird die Autorin 1937 als Maryse Bouclon in Pointe-á-Pire auf Guadeloupe. Der Vater höherer Kolonialbeamter, die Mutter Lehrerin, gehört die Familie mit ihren acht Kindern zu den privilegierten Kreisen in der streng geteilten karibischen Gesellschaft. Sie zählen sich zu den „Grands Nègres“ – Maryse Condé verwendet diesen umstrittenen Begriff und die Übersetzerin Ingeborg Schmutte gebraucht die deutsche Übertragung mit dem Hinweis, dass der Begriff auf den Antillen im Allgemeinen keine abwertende Bedeutung habe -, streng getrennt von den weißen Kreolen und den „Mulatten“ (auch dies ein eigentlich nicht mehr zu verwendender Begriff).

Viel mehr als zum Gros der Schwarzen Bevölkerung fühlen sich die Eltern zu den Franzosen gehörig. Deren Stil, Kultur und Lebensart werden verehrt und umgesetzt.

"Hätte jemand meine Eltern nach ihrer Meinung über den Zweiten Weltkrieg gefragt, so hätten sie ohne zu zögern geantwortet, es sei die düsterste Zeit gewesen, die sie jemals erlebt hatten. Nicht etwa wegen des zweigeteilten Frankreichs, der Lager von Drancy und Auschwitz, der Ausrottung von sechs Millionen Juden, noch wegen all der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die immer noch nicht vollständig gesühnt sind, sondern weil ihnen das für sie Wichtigste sieben endlose Jahre verwehrt war: ihre Reisen nach Frankreich.“

Als französischen Beamten stand den Eltern mit allen acht Kindern jedes Jahr ein „Heimaturlaub“ zu. Hier in Frankreich fühlten sie sich französischer als manch Einheimischer. Und schauten durchaus auch auf die „einfachen“ Franzosen hinab, wenn sie sich nicht ebenbürtig behandelt fühlten.

„Wie sind gebildeter. Wir haben bessere Manieren. Wir lesen mehr. Manche von ihnen sind noch nie aus Paris hinausgekommen, während wir den Mont-Saint-Michel, die Côte d´Azur und die Baskenküste kennen.“

In diesem Spannungsfeld zwischen Klassen- und Rassenzugehörigkeit erlebte Maryse Condé ihre Eltern.

„Papa und Mama sind zwei Entfremdete“ erklärte ihr der große Bruder. Entfremdet von ihren Schwarzen Landsleuten, aber auch von den so verehrten Franzosen. Maryse Condé wird diese in Mein Lachen und Weinen schon früh verortete Zerrissenheit später nach Westafrika führen, auf der Suche nach ihren afrikanischen Wurzeln.

In lebendigen Anekdoten entsteht das Bild einer insgesamt bunten, sorgenfreien karibischen Kindheit und einer sich dem Ende zuneigenden kolonialen Gesellschaft. Und das Porträt einer sich ihr Selbstvertrauen erkämpfenden, oft auch störrischen jungen Frau.

Nach der frühen Scheidung vom Vater ihrer Kinder, nach Jahren als Lehrerin in verschiedenen westafrikanischen Ländern, schreibt Maryse Condé 1984 den Bestseller Segu. Mauern aus Lehm, dem noch etliche Romane und Erzählungsbände folgen. Am 12. Oktober 2018 wird sie als Gewinnerin des „Alternativen Literaturpreises der Neuen Akademie“ bekanntgegeben.

  

 

 

Cover des Buches Mein Lachen und Weinen. (ISBN: 9783940435354)
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Rezension zu "Mein Lachen und Weinen." von Maryse Condé

Gwhynwhyfar
Französicher als die Franzosen

Der Anfang: «Hätte jemand meine Eltern nach ihrer Meinung über den Zweiten Weltkrieg gefragt, so hätten sie ohne zu zögern geantwortet, es sei die düsterste Zeit gewesen, die sie jemals erlebt hatten. Nicht etwa wegen des zweigeteilten Frankreich, der Lager von Drancy und Auschwitz, der Ausrottung von sechs Millionen Juden, noch wegen all der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die immer noch nicht vollständig gesühnt sind, sondern weil ihnen das für sie Wichtigste sieben endlose Jahre verwehrt war: ihre Reisen nach Frankreich. Da mein Vater ehemaliger Beamter und meine Mutter noch im Dienst war, hatten sie regelmäßig Anspruch auf einen Urlaub »im Mutterland« mit ihren Kindern. Frankreich war für sie keineswegs der Sitz der Kolonialmacht. Es war wirklich das Mutterland, und Paris die Lichterstadt, die allein ihrem Leben Glanz verlieh.»


Die Kindheitserinnerungen der Nobelpreisträgerin Maryse Condé aus Guadeloupe aus den vierziger und fünfziger Jahren sind in diesem Band als Kurzgeschichten erschienen. Sie wächst in einer Familie der schwarzen Oberschicht von Pointe-à-Pitre auf, der größten Stadt Guadeloupes. Klassen- und Rassenkonflikten gehören zu ihrem Alltag während der zu Ende gehenden Kolonialzeit, und sie rebelliert gegen die Zwänge ihrer Gesellschaft, gerät dabei in Konflikt mit ihren Eltern. Ihre Eltern fühlen sich als vollwertige Franzosen, das Heimatland ist Frankreich – obwohl sie in der Kolonie Guadeloupe geboren sind, hier ihre familiären Wurzeln haben. Maryse fühlt sich in der «Hauptstadt» Paris nicht wohl. Im Nachkriegs-Paris sehen die Leute anders aus, nämlich weiß, aber nicht nur wegen der Hautfarbe fällt die Familie auf. Ihr Vater, den sie als «gut erhaltener ehemaliger Frauenheld» beschreibt, und die Mutter, mit «kreolischem Schmuck reich behängt», eine Familie mit acht Kindern, «aufgeputzt wie Reliquienschreine». Sie werden angeglotzt und bewundert. Als wäre dies nicht genug, werden sie immer wieder gedemütigt – sie, die Franzosen:


«Wie gut Sie französisch sprechen!›

Meine Eltern empfingen das Kompliment, ohne eine Miene zu verziehen oder zu lächeln, und beschränkten sich auf ein Nicken. Sobald die Kellner den Rücken gekehrt hatten, riefen sie uns zu Zeugen auf:

‹Wir sind aber doch genauso Franzosen wie sie›, seufzte mein Vater.

‹Französischer›, trumpfte meine Mutter heftig auf.

Zur Erklärung fügte sie hinzu: ‹Wir sind gebildeter. Wir haben bessere Manieren. Wir lesen mehr. Manche von ihnen sind nie aus Paris hinausgekommen, während wir den Mont-Saint-Michel, die Côte d’Azur und die Baskenküste kennen.»


Kurzgeschichten über Herkunft und Identitätssuche, Anekdoten die genau die Realität abbilden, verdeutlichen. Maryse Condé berichtet von ihren Eltern, die französischer sein wollen als die Franzosen. Aber auch in der Karibik ist man «anders» – legt Wert darauf: Ihre Eltern gehören zu den «Grands Nègres»: Ihre Mutter ist «französisch», trägt keine weiten Gewänder, kocht kein Wurzelgemüse für die Kinder, erzählt keine kreolischen Geschichten, sondern arbeitet als französische Beamtin, wie auch der Vater Beamter ist. Sie versuchen, sich abzugrenzen von den Kreolen, den einfachen Menschen – sie sind ja Franzosen. Maryse beobachtet diese Seite ihrer Eltern – und gleichzeitig den Rassismus, der ihnen in Frankreich entgegenschlägt. Sie sucht ihre eigene Identität. Ihre überschaubare Welt, ihr zu Hause in Pointe-à-Pitre wird ihr zu begrenzt, zu einseitig, sie rebelliert gegen das «Französische», legt Wert und auf ihre schwarze Identität. Mit ihrer Mutter hadert sie – aber kaum an Bord des Schiffes nach Frankreich, um in Paris zu studieren, vermisst sie ihre Mutter unendlich. 


«Ist sie niedlich, die kleine Negerin?›

Es war nicht das Wort Negerin, das sie verletzte. Es war der Tonfall!»


Mit Leichtigkeit, klug erzählt, bringt Maryse Condé die grotesken Situationen auf den Punkt. Sie gehört zu den wichtigsten Autor*innen der Dekolonialisierungsliteratur der Karibik. Was bedeutet Kolonialismus für die Bevölkerung? In diesem Fall ist es der Franzose – der aber nie ein Franzose sein wird, so sehr er sich auch bemüht – beraubt seiner eigenen Identität. Geschichten, die pointiert sind, ein Lesevergnügen, weil sie nicht mit dem Zeigefinger daherkommen. Biografische Geschichten, die uns in eine Zeit versetzt, in die die Europäer Unglück auf andere Kontinente brachten, an denen viele Länder noch heute kranken: instabile Regierungen, wirtschaftliche Schwäche und ethnische Konflikte. Die Kolonien, besonders in Afrika sind oft künstliche und fremde Gebilde, in denen kleine Personenverbände und Ethnien zwangsmäßig zusammengefügt und kolonialisiert wurden. Maryse Condé lebte eine Zeit lang in Afrika, wo sie ihre afrikanischen Wurzeln suchte. Die rebellische Autorin wurde mit ihren politischen Romanen und Theaterstücken über Sklaverei, Afrika, über die Arroganz der Besitzenden und der Not der Schwachen bekannt. Ihr bedeutendstes Buch heißt «Segu», es ist ein historischer Roman über das heutige Mali, über Blüte und Untergang der mächtigen Stadt Segu am Niger: Der Islam dringt in Afrika vor, christliche Missionare und europäische Kolonisatoren kommen ins Land, der Sklavenhandel blüht. 


Maryse Condé, eine der wichtigsten Autorinnen der Frankophonie, wurde am 11. Februar 1937 in Pointe-à-Pitre auf Guadeloupe geboren, studierte Literaturwissenschaften an der Sorbonne in Paris und lebte danach viele Jahre in Westafrika, unter anderem in Mali, wo sie zu ihrem Bestseller «Segu» angeregt wurde. Sie promovierte an der Sorbonne, arbeitete als Universitätsdozentin in Paris, Berkeley und Maryland wechselte sie 1995 an die Columbia University in New York. Sie erhielt 1988 den LiBeraturpreis, 1993 wurde sie als erste Frau mit dem Puterbaugh-Preis ausgezeichnet.  Seit der Gründung 1997 bis 2002 hatte sie den Vorsitz des Center for French and Francophone Studies. Seit 2013 lebt sie im südfranzösischen Gordes. 2018, in dem Jahr, in dem der reguläre Nobelpreis für Literatur nicht vergeben wurde, erhielt sie für ihr Gesamtwerk den alternativen Nobelpreis, den New Academy Prize.


https://literaturblog-sabine-ibing.blogspot.com/p/mein-lachen-und-weinen-von-maryse-conde.html


Cover des Buches Der Engel des Patriarchen (ISBN: 9783940435316)
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Rezension zu "Der Engel des Patriarchen" von Kettly Mars

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Unfassbare Geister

Das Leben könnte so schön sein. Emmanuela hat eigentlich alles, was man sich wünscht. Vielmehr als die meisten auf Haïti. Sie hat eine Familie, eine Arbeit, die ihr das gewünschte Leben ermöglicht. Cousine Paula, von allen nur Couz genannt, ist eigentlich die Einzige, die ab und zu mit ihren Geschichten nervt. 

Doch seit einiger Zeit umschlingt Emmanuela eine nicht greifbare Unruhe. Sind es die Geschichten von Couz, die ihr Angst machen? Die behauptet, dass ein Geist Besitz von der gesamten Familie ergriffen hat. Und Beweise, wenn man sie so nennen kann, hat sie auch parat. Die Todesdaten von Familienangehörigen sind allesamt äußerst kurios. Oder ist es doch nur die beginnende Menopause, die Emmanuela einfach nicht zur Ruhe kommen lässt. Eine rituelle Kopfwaschung soll dabei Abhilfe schaffen.

Serge, der Mann an Emmauelas Seite ist wenig erfreut über das Ritual, das sie über sich ergehen ließ. Doch ist er Manns genug ihr keinerlei Vorschriften zu machen. Als er bei sich zuhause ankommt, ist auf einmal alles anders. Das Knurren seiner Hund ist beunruhigend… Und Emmanuela weiß nun ganz genau, dass Yvo, der Geist, den einst ihr Großvater „ins Haus schleppte“ erneut sein Unwesen treibt… 

Haïti und Voodoo gehören zusammen wie Eiffelturm und Paris. Dessen muss man sich gewiss sein, wenn man Kettly Mars‘ neuen Roman „Der Engel des Patriarchen“ lesen will. Keine Spinnerei wie im Film, in denen sich Besessene ins Feuer stürzen, in denen die Macht des Voodoo missbraucht wird, um die Macht zu stützen. Voodoo ist eine Religion, die man genauso ernst nehmen soll wie jede andere Religion. Mit dieser Einstellung wird dieser Roman zu einem Leseerlebnis der besonderen Art.

Die Sätze umschmeicheln den Leser wie Seide. Langsam bedecken sie die Phantasie und hinterlassen eine Welt, die so fremd erscheint, dass man sie gar nicht als real empfindet. Es sind keine Märchen, die Kettly Mars dem Leser vorsetzt. Echte Geschichten, wahre Empfindungen.


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