Szenen eines Lebens
von gst
Kurzmeinung: Wenn sich ein Mann zwischen zwei Frauen entscheiden muss, ist das immer ein spannendes Thema.
Rezension
Was aber,
wenn alles zugleich gegenwärtig ist,
an unterschiedlichen Orten,
zu verschiedenen Zeiten,
ohne ein Nacheinander zuzulassen?
Raoul Schrott
Wenn das Leben zu Ende geht, dann liest man des öfteren, dass es nochmal in kurzen Sequenzen vor dem geistigen Auge abläuft. So auch in diesem Fall: Johann Brandhove – Hanno genannt – wird auf einem Berliner U-Bahnhof überfallen. Während er schwer verletzt versucht, den Ausgang zu erreichen, durchlebt er seine unterschiedlichen Lebensepochen in einer Intensität, die mich als Leserin in einen regelrechten Sog versetzten.
Anfangs sind es nur kurze Aspekte seines Lebens, die das Lesen und Zuordnen etwas schwierig machen. Erst im Laufe des Buches werden sie länger und eindrücklicher. So formt sich ein Mosaik aus kleinen und größeren Steinchen, das immer deutlicher ein Leben zwischen Kriegsende und dem Mauerfall zeigt.
Vor meinem Leserauge erschienen Städte wie München oder Berlin, ich durchreiste das bayerische Oberland und hielt mich vorübergehend in Tübingen auf. Auch nach Italien nimmt uns der Autor mit, während er hautnah die Qualen einer sich verändernden Liebe durchleidet. Er erinnert an politische Ereignisse und erzählt von beruflichen Angelegenheiten.
Je mehr Seiten ich gelesen hatte, desto schwerer fiel es mir, das Buch aus der Hand zu legen. Dabei erfordert es vom Schreibstil her durchaus Konzentration. Ingo Bernhard ist ein guter Beobachter, der Eindrücke hervorragend in Worte zu kleiden weiß: „... fängt sein Blick die Sonnenstrahlen auf, in deren Licht sich unzählige Staubkörner wie Glühwürmchen tummeln.“ Er zeigt eine sanfte männliche Seite und beschreibt Emotionen so realitätsnah, dass ich als Leserin meinte, sie selbst zu empfinden.
Warum dann nur vier Sterne? Weil das Buch meiner Meinung nach noch nicht ganz ausgereift ist. An manchen Stellen irritierte mich die Zuordnung: wessen Gefühle werden gerade beschrieben? Auch ist mir die Überleitung vom Überfall zu den Gedankengängen etwas zu krass.
Wer zu den ewig Suchenden gehört und über diese kleinen Schwächen hinwegsehen kann, wird dieses Buch durchaus genießen. Es eignet sich meiner Meinung nach für Leser jeden Alters, da von der Jugend bis über die Lebensmitte hinaus alle Altersstufen behandelt werden.Ausgesprochen positiv bewerte ich die Schriftgröße, die auch Brillenträgern ein entspanntes Lesen ermöglicht.