Cover des Buches Schattenhochzeit (ISBN: 9783518457023)
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Rezension zu Schattenhochzeit von Ioanna Karystiani

Rezension zu "Schattenhochzeit" von Ioanna Karystiani

von WinfriedStanzick vor 13 Jahren

Rezension

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WinfriedStanzickvor 13 Jahren
Dieses Buch erzählt von einem fremden Land mitten in Europa, das, obwohl an der Küste touristisch seit Jahrzehnten erschlossen, in seinem Innern eine zutiefst archaische Gesellschaft am Leben erhält. Dieses Buch beschreibt die Geschichte des angesehenen Genforschers und Biophysikers Kyriakos Roussias. Er liebt seine Insel Kreta und hält auch in seiner neuen Heimat USA außerhalb seiner wissenschaftlichen Arbeit fast nur Kontakt zu Landsleuten. Er kann seiner Heimat und deren Traditionen nicht entkommen, so sehr er diese Tatsache auch verdrängen möchte. Mit 15 Jahren von seinem Vater in die USA geschickt, lässt ihn diese abrupte Entwurzelung nie wirklich los, sie gärt in ihm. Selbst seine wissenschaftliche Arbeit, in die er sich Tag und Nacht flüchtet, bietet ihm davor keinen Schutz. Sie bringt ihm großen Ruhm – seine erfolgreichen Forschungen u.a. zum Aids-Virus künden bis in die hinterste Ecke seiner Heimatinsel. Doch in all diesen Jahren – fast 30 sind es am Ende – hat er es nie geschafft, in seine Heimat zurückzukehren. Seine Vorträge führen ihn in alle Erdteile, Kreta lässt er bewusst aus. Er telefoniert ab und zu mit seiner Mutter, holt sie dann auch etwa alle 5 Jahre für mehrer Monate zu sich in die USA, aber über der Vergangenheit liegt ein dunkler , bleierner Schleier des Schweigens. Als er sich kurz vor der Jahrtausendwende plötzlich ( für den Leser nicht wirklich nachvollziehbar) entschließt, eine Vortragsreise nach Japan abzusagen und auf dem Flughafen nach Kreta umbucht, wird dem Leser mit jeder weiteren Seite deutlich, warum er vor seiner Vergangenheit geflüchtet ist und die Auseinandersetzung mit ihr gescheut hat. Die Geschichte seiner Familie ist die Geschichte einer generationenlangen Kette von Morden aus Blutrache. Insgesamt 7 Menschen sind in den vergangenen 50 Jahren in dieser Familie ums Leben gekommen – und jedes Mal war der Täter ein Familieangehöriger! Ioanna Karystiani gelingt es überzeugend, diese archaische Kultur zu beschreiben. Sie erzählt von kargen Landschaften, von Hirten und ihrem armseligen Leben. Die Menschen sprechen nur wenig miteinander, wichtig ist, was nicht gesagt wird. Die Männer tragen schwarze Hemden, sind bis an die Zähne bewaffnet und leben nach ganz eigenen Regeln und Gesetzen. Von rachelüsternen rauen angestachelt, folgen sie einer eigenen blutigen und tödlichen Logik von Ehre und Rache. Wenn Ioanna Karystiani Menschen und Landschaften beschreibt, dann hat man das Gefühl, dort zu sein, die sprachlose, drückende Hitze zu spüren. Kyriakos Roussias sieht sich bald nach seiner Ankunft der unausgesprochenen Erwartung – auch seiner eigenen Mutter ! – ausgesetzt, den letzten Mord an seinem Vater zu rächen. Der war von einem Cousin mit gleichem Namen vor über zwei jahrzehnten getötet worden, nachdem er kurz vorher selbst dessen Zwillingsbruder – einen begnadeten Sänger – abgeschlachtet hatte. Das berühmteste Lied dieses Siris heißt bezeichnenderweise „Der Jüngling und der Tod“. Fast 300 Seiten lang beschreibt die Autorin in wirklich eindrucksvoller Weise, wie ihre Hauptfigur mit dem Druck umgeht, den die Tradition ihm auferlegt hat. Ihr ist abzuspüren, wie sie zusammen mit ihrer Hauptfigur darum kämpft, ob es nicht doch einen zivilisierten Ausweg aus dem archaischen Dilemma gibt, einen Ausweg, der ihre eigenen Wurzeln und ihre Kultur in ihren Festen erhält und sie dennoch modernen Werten öffnet. Der Leser wird hineingezogen in diese innere Auseinandersetzung und bleibt zurück mit dem Gefühl, ein wundervolles Buch über ein wunderbares Land gelesen zu haben, das dennoch niemand wirklich verstehen kann und das mit seiner Hinwendung zu modernen Werten seine wahre – eben archaische- Identität verliert. Michaela Prinzinger hat für ihre Übersetzung von „Schattenhochzeit“ aus dem Griechischen 2003 den Deutsch-Griechischen Übersetzerpreis erhalten. Sie hat ihn verdient.
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