Cover des Buches SUITE FRANCAISE (ISBN: 9780701178963)
Rezension zu SUITE FRANCAISE von Irène Némirovsky

Rezension zu "SUITE FRANCAISE" von Irène Némirovsky

von Ein LovelyBooks-Nutzer vor 12 Jahren

Rezension

Ein LovelyBooks-Nutzervor 12 Jahren
Ohne etwas über das Schicksal der Autorin Irène Némirovski zu erfahren, lässt sich SUITE FRANCAISE, genau genommen ein Romanfragment, nicht vollständig begreifen. SUITE FRANCAISE (entstanden 1941/42) sollte eigentlich, in Anlehnung an die musikalische SUITE (=Zyklus von Musikstücken die in vorgegebener Abfolge ohne längere Pausen gespielt werden) aus fünf Teilen bestehen. Nur zwei Teile konnte Irène Némirovski fertig stellen, „Sturm im Juni“ und „Dolce“. Noch während sie daran schrieb hatte sie wohl erkannt, dass sie keine Chance haben würde, zu überleben. „Mein Gott! Was tut mir dieses Land an?“, schreibt sie im Juni 1940. Zu diesem Zeitpunkt ist sie 37 Jahre alt, verheiratet, Mutter zweier Töchter und lebt seit über 20 Jahren in Paris. Ursprünglich stammt sie aus Russland. Sie ist in Frankreich eine gefeierte Autorin. Romane wie „Jesabel“ und „David Golder“ haben sie berühmt gemacht. Doch sie ist Jüdin und staatenlos. Ihr Verleger hat sie fallenlassen, Frankreich bietet ihr keinen Schutz. Sie schreibt über dieses Land: „Da es mich von sich stößt, betrachten wir es kalten Blutes und schauen wir zu, wie es seine Ehre und sein Leben verliert.“ In diesem Monat beginnt sie mit der Niederschrift von „Suite Francaise“. Sie beendet Teil 1 „Sturm im Juni“ und Teil 2 „Dolce“ in winziger Schrift, denn Papier und Tinte sind knapp. Dann wird sie verhaftet. Ein letzter Gruß erreicht die Familie: „Mein Geliebter, meine kleinen Herzliebsten, ich glaube, dass wir heute abfahren. Mut und Hoffnung – ihr seid in meinem Herzen, meine Vielgeliebten.“ Kurz darauf stirbt Irène Néminrovski am 17. August 1942 in Auschwitz. Ihr Mann Michel Epstein begreift selbst lange nach ihrer Abreise nicht begriffen, dass die Festnahme gleichbedeutend mit dem Tod zu setzen ist. Jeden Tag wartet er auf Irénes Rückkehr, forschte nach ihrem Verbleib und schreibt schließlich an Marschall Pétain, dass seine Frau von zarter Gesundheit sei. (Zu diesem Zeitpunkt ist sie schon tot). Epstein bittet um die Erlaubnis, in einem Arbeitslager ihren Platz einzunehmen. Die Antwort der Vichy-Regierung lässt nicht lange auf sich warten: Michel Epstein wird im Oktober 1942 verhaftet und am 6. November 1942 nach Auschwitz deportiert, wo er sofort nach seiner Ankunft vergast wird. Als nächstes sollen die beiden kleinen Töchtern Denise und Elisabeth an die Reihe kommen. Fieberhaft wird nach ihnen gesucht. Die Pflegemutter ist so geistesgegenwärtig, die Davidsterne von den Mänteln der Kinder zu lösen und mit ihnen zu flüchten. Sie verstecken sich in einem Kloster, dann in Kellern und Höhlen. Schließlich gelangen sie schwer krank und erschöpft außer Landes. Immer dabei ist ein Koffer mit Familienpapieren, Fotos und dem Manuskript von Suite Francaise. Nach dem Krieg warten die Töchter lange Zeit auf die Rückkehr der Mutter, die als „verschwunden“ gilt. Es dauert lange, bis Genaues bekannt wird. Dennoch wollen Denise und Elisabeth die Hefte nicht öffnen. „Es wäre an ihr gewesen, das zu tun“, sagt Denise Epstein. Erst im Jahr 2004 wird das Vermächtnis der Mutter gelesen und veröffentlicht. In SUITE FRANCAISE beleuchtet Némirovski alle Seiten Frankreichs während der deutschen Besatzung. Sie räumt mit dem Mythos der Résistance auf, wonach die meisten Franzosen gegen die Kollaboration gewesen wären. Opportunismus, Doppelmoral, Nächstenliebe, Patriotismus sind ihre Themen, oftmals mit erstaunlich viel Humor geschrieben. Die Szene in der Madame Péricand ihren alten, siechen Schwiegervater während der Flucht einfach irgendwo VERGISST, ist auf makabere Weise sehr lustig. Sie hat nur an das Silber und den Schmuck gedacht und an die Katze. SUITE FRANCAISE ist das beeindruckende Werk einer Frau, die ihre eigene Lebenssituation und die Gefahr in der sie während des Schreibens schwebte, völlig ausspart. Dennoch bekommt man beim Lesen das Gefühl, diese Frau schreibt so drängend und intensiv, als hätte sie gewusst, dass ihr nicht mehr viel Zeit blieb.
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