Rezension zu "Unerhört - Vom Hören und Verstehen" von Irene Bozetti
Wesentliche Kompetenz der therapeutischen Arbeit
Das, was Carl Rogers „Empathie“ nannte und Thomas Gordon unter dem Begriff des „Aktiven Zuhörens“ als Kernkompetenz in seine Trainings einband, ist weit entfernt vom alltäglichen, oft nur vermeintlichen „Zuhören“ im Dialog oder in der Unterhaltung.
Nicht umsonst untertiteln die Herausgeber dieses Werk mit den Worten: „Die Wiederentdeckung der grundlegenden Methode der Psychoanalyse“.
Das nachgehende Zuhören, das „ins Letzte“ hinein verstehen dessen, was der andere, der Patient, mitzuteilen versucht und die Rückkoppelung dieses Verständnisses an den Patienten ist jenes Geschehen, welches die Exploration, die „innere Entfaltung“ des Patienten in der Psychotherapie und Psychoanalyse am wesentlichsten voranbringt und damit die Kraft, welche über Gelingen oder nicht Gelingen der Problemlösung entscheidet.
Ein „Zuhören“, dass sich nicht erschöpft im „mal sich anstrengen, den Mund zu halten“, sondern dass eine wichtige, erlernbare, ständig zu trainierende Kompetenz des Therapeuten darstellt, die in ihrer zentralen Bedeutung nicht genug betont werden kann.
Was, folgt man den Autoren im Buch, nicht nur für die klassischen „nicht-direktiven“ Methoden wie die Gesprächspsychoanalyse gilt, sondern sich in ebensolcher Kraft in direktiven Methoden (wie der Psychoanalyse, KVT etc.)) wieder zu finden hat, soll eine echte Einsicht und eine Veränderung im Verhalten des Patienten ermöglicht werden.
Mittels „Assoziation, Narration und Zuhören“ beschreibt Susann-Heenen Wolff diese Wichtigkeit kompetent und fundiert im Buch und verweist so auf den „analytischen Prozess diesseits der Deutung“. „Erst hören, dann deuten“, bietet eine griffige Faustformel für diesen elementaren Prozess.
Wobei ebenfalls, natürlich, die „Unruhe im Therapeuten“ im Buch aufgenommen wird. Sich ganz einlassen, ganz dem Patienten als Ohr „zur Verfügung stellen“ beinhaltet eine ebenso hohe Anforderung an den Therapeuten als „Fachmann“ mit viel Erfahrung, dem es vielleicht hier und da in den Fingern juckt einem konkreten Patienten zu schnell „die Richtung zu weisen“.
Die „Erfahrung eigener, beunruhigender Widersprüche“ geht einher mit einem intensiven empathischen Zuhören und stellt auch den Therapeuten immer wieder vor professionelle Herausforderungen und zur Reflexion seiner selbst.
Auch wenn im Lauf der Jahrzehnte vielfache Methoden und Instrumente der therapeutischen Arbeit hinzugetreten sind und entwickelt wurden (szenische Darstellungen, Handlungsdialoge, Körperarbeit etc.), der „Königsweg“ des Zugangs zu einem tieferen Verstehen der inneren Welt eines anderen ist und bleibt eine kompetente und professionell entwickelte Haltung des Hörens.
Um eben jene „freie Assoziation“ zu ermöglichen und intensiv zu begleiten, mittels derer der jeweilige Patient dem „Unhörbaren“ oder „Unerhörten“ auf die Spur kommen kann, damit „Unsagbares“ gesagt werden und „Unbewusstes“ hörbar werden kann. Eine „freie Entfaltung aller Gedanken“, welche die Autoren als Ziel mit in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen stellen.
Dieses „Hören mit dem dritten Ohr“ betrachten die verschiedenen Autoren im Buch aus ebenso verschiedenen Blickwinkeln und schulen so an „hörender“ Lektüre, an konkreten „Störungen“ (wie posttraumatischen Erfahrungen)an Reflexionen des psychoanalytischen Prozesses beim Leser vielfach die „Hör-Kompetenz“ und setzten zudem vielfache Assoziationen frei, die wiederum die mögliche und besondere Qualität des therapeutischen „Hörens“ vermitteln.
Auch wenn die Psychoanalyse als Methode erkennbar im Vordergrund der Betrachtungen im Buch steht, gelten die Hinweise und das grundlegende Verständnis dieser grundlegenden Kompetenz für jede Form und Schule der psychotherapeutischen Arbeit.