Rezension zu "Die Kinderkarawane" von An van der Loeff-Basenau Rutgers
Ich habe das Buch beim Kellerentrümpeln in einer Kiste mit alten Kinderbüchern wiedergefunden und, weil ich nur noch eine vage Erinnerung daran hatte, heute abend noch mal gelesen.
Komischerweise ging es mir heute beim Lesen wieder genauso wie vor über dreißig Jahren.
Einerseits durchaus spannend, andererseits offensichtlich unrealistisch, und zwar so, daß es auch ein Zehnjähriger merkt.
(Jetzt kommt der Spoiler)
Schon damals hielt sich mein Mitgefühl in Grenzen, weil die Kinder, vor allem der große Bruder und Held der Erzählung, sich völlig unmotiviert vom Treck trennen und sich so alle Gefahren letztlich selbst zuzuschreiben haben.
Ebenso hatte ich damals bereits das Gefühl, daß die Geschichte kräftig im Sinne der "Pioniere" zurechtgebogen wird. Ich gebe zu, daß sich meine Kenntnisse über den Wilden Westen im Alter von zehn Jahren auf "Winnetou" beschränkten, aber die Kernaussage bleibt ja trotzdem wahr: "Länderdiebe!" (Winnetou I) Hier aber werden die weißen Amerikaner als edle Vorreiter der Zivilisation glorifizert und ausnahmslos alle Indianer als faul, feige und unehrlich dargestellt.
Und jeder Karl-May-Leser oder -Filmgucker weiß, daß man einen Grizzlybären nicht mit einer gewöhnlichen Gewehrkugel, die dann auch noch zwischen die Augen gefeuert wird, töten kann, sondern ihm damit schlimmstenfalls Kopfschmerzen macht, genauso, wie ein einzelner Hund ihm nicht die Kehle durchbeißen könnte (ein Prankenhieb, und der Köter wäre nur noch Matsch).
Aus der Perspektive einer erwachsenen Leserin (nach Geschichtsunterricht, Sachbüchern, Dokumentarfilmen, auch Romanen wie "Fools Crow") finde ich diese Schilderungen einfach nur schlecht..
(Übrigens ist es bemerkenswert, daß der gut siebzig Jahre vorher, mitten in der Hochzeit des Kolonialismus schreibende Karl May einen sehr viel kritischeren Blick auf die ach so tollen Pioniertaten der europäischen/us-amerikanischen "Zivilisation" hatte als eine studierte Niederländerin in den 1950er Jahren.)
Andererseits ist die Geschichte an sich ganz spannend geschrieben, und beim erneuten Lesen habe ich mich regelrecht über das verschenkte Potential geärgert. Mit einer realistischeren Ausgangssituation und etwas weniger rosarot gefärbtem Blick auf die Geschichte der USA hätte die Autorin da wirklich was draus machen können. Schade!