Hélène Laurains Roman „Bis alles brennt“ ist ein eindrucksvolles, wenn auch forderndes literarisches Experiment. Auf rund 160 Seiten entfaltet sich eine Geschichte, die die Verzweiflung und den Kampfgeist einer Generation einfängt, die sich zwischen der drohenden Klimakatastrophe und einer erstickenden gesellschaftlichen Ignoranz wiederfindet. Laurains außergewöhnlicher Stil und ihre bewusste Entscheidung, nahezu vollständig auf Interpunktion zu verzichten, machen das Buch zu einem einzigartigen Leseerlebnis – anstrengend, mitreißend, verstörend und bereichernd zugleich.
Die Sprache ist hier nicht nur Mittel zum Zweck, sondern wird zur treibenden Kraft. Die fehlende Struktur zwingt dazu, sich auf den Text einzulassen, als würde man in einen reißenden Fluss springen. Gedanken und Sätze gleiten ineinander, schaffen eine ständige Bewegung und Dynamik, die perfekt zu den inneren Konflikten der Protagonistin Laetitia passt. Dieses sprachliche Chaos ist mehr als ein stilistisches Mittel – es reflektiert die Zerrissenheit, die Rastlosigkeit und die Überforderung einer Welt, die nicht innehalten kann.
Auch der Inhalt des Buches fordert die Leserinnen heraus. Die Geschichte von Laetitia, die zwischen ihrer persönlichen Suche nach Sinn und ihrer Wut über die drohende Zerstörung durch die Klimakrise pendelt, wirkt ebenso fragmentiert wie die Sprache. Die Protagonistin und ihre Freundinnen kämpfen mit radikalen Mitteln gegen die drohende Vergrabung von Atommüll in ihrer Heimat. Doch es sind nicht nur die Taten, die im Zentrum stehen, sondern die Zweifel, Ängste und unkontrollierbaren Emotionen, die damit einhergehen. Der Roman ist dabei bewusst unsentimental, fast schon roh. Er zeigt, dass Aktivismus nicht nur Hoffnung, sondern auch Verzweiflung und Wut beinhaltet – ein Kampf, der oft verloren scheint, bevor er beginnt.
Viele Begriffe, Orte und Namen werden ohne Erklärung in den Text geworfen. Dieses verlangt nach Recherche und fordert die Leserinnen heraus, sich selbst Antworten zu suchen. Diese Unbestimmtheit stört den Lesefluss, zwingt aber auch zu einer Entscheidung: Überfliegt man die Worte, oder lässt man sich auf den Text ein und nimmt sich die Zeit, zu verweilen, zu denken und zu verstehen? In jedem Fall wird das Lesen zu einer aktiven Erfahrung – fast schon zu einem Dialog zwischen Leserin und Buch.
Am Anfang schwankt man vielleicht zwischen Begeisterung und Frustration. Doch je länger man liest, desto mehr wird klar, dass die Form und die Sprache perfekt zur Botschaft des Buches passen. Es ist kein Werk, das man schnell konsumiert und vergisst. Vielmehr bleibt es haften, fordert eine zweite Lektüre und entfaltet sich erst in der Reflexion vollends.
Hélène Laurain hat mit „Bis alles brennt“ ein Buch geschrieben, das mehr als nur eine Geschichte erzählt. Es ist ein literarischer Rausch, eine Anklage und ein poetisches Manifest – und letztlich ein Werk, das jene liebt, die bereit sind, sich seiner Herausforderung zu stellen.