Cover des Buches Der Palast der Träume (ISBN: 9783250600428)
Rezension zu Der Palast der Träume von Ismail Kadare

Rezension zu "Der Palast der Träume" von Ismail Kadare

von Ein LovelyBooks-Nutzer vor 13 Jahren

Rezension

Ein LovelyBooks-Nutzervor 13 Jahren
'Der Palast der Träume' beginnt mit einer Szene, wie sie wohl fast jeder kennt: Man geht durch die Straßen, die Bewerbungsunterlagen in der Hand, erreicht das Gebäude des potentiellen neuen Arbeitgebers, irrt orientierungslos durch die Gänge, bis man die richtige Türe gefunden hat und vielleicht zitternd, auf jeden Fall aber sehr nervös anklopft. Allerdingt mit dem Unterschied, dass 'Der Palast der Träume' Ende des 19. Jahrhunderts in Istanbul spielt und es sich bei dem 'potentiellen neuen Arbeitgeber' nicht im irgendwen handelt, sondern um den Tabir Saray, eine geheimnisvolle und mächtige Behörde des Osmanischen Reichs. Wie man im Laufe der Geschichte erfährt, werden im Tabir Saray Träume, die aus dem gesamten Osmanischen Reich stammen, gesammelt, selektiert und gedeutet, um so künftige Bedrohungen für das Reich zu erkennen. Unter all diesen Träumen wird jede Woche einer ausgewählt und dem Sultan präsentiert. Dieser 'Haupttraum' kann erhebliche Auswirkungen auf das Schicksal einzelner Sippen, die wirtschaftliche Entwicklung, ja eigentlich die gesamte politische Entwicklung haben. Mark-Alem, die Hauptperson, wird in den Tabir Saray aufgenommen und beginnt in der Selektion seine Arbeit. Er findet sich nur sehr langsam in diesem verwirrenden und sehr kafkaesken System zurecht (nicht ohne Grund heißt es auf der Rückseite: "'Der Palast der Träume' [...] entwirft ein faszinierendes Paralleluniversum zu Kafkas Welt') , steigt aber aufgrund seiner adeligen Herkunft schnell in der Hierarchie des Tabir Saray auf. Als er in die Interpretation aufgestiegen ist, rät ihm sein mächtiger Onkel auf Träume zu achten, die ihre Sippe, die Qyprilli, betreffen könnten. Doch da ist es schon zu spät... Der Albaner Ismail Kadare hat den Roman während der kommunistischen Diktatur von Enver Hoxha verfasst, was - wie der Übersetzer Joachim Röhm im Nachwort zeigt - den Roman stark geprägt hat: Ähnlich wie im Roman das Osmanische Reich, bemühte sich der Diktatur Hoxha, durch Propaganda und radikale Zensur auch die Gedanken der Untertanen zu kontrollieren. Natürlich erkannte die albanische Diktatur diese Parallele und ließ den Roman verbieten. Vermutlich hat es Ismail Kadare bloß seiner internationalen Bekanntheit zu verdanken, dass keine weiteren Repressionen folgten. Mir hat "Der Palast der Träume" sehr gut gefallen. Anders als ich zunächst vermutet habe, hat Kadare nicht Kafkas Erzählungen und Romane nachgeahmt, sondern verwendet lediglich die in ihnen enthaltene Atmosphäre als Kulisse für die spannende und gut konstruierte Handlung des Romans. Seine Sprache ist relativ einfach, er verwendet Metaphern eher selten, dafür aber umso effektvoller. Manche werden sich vielleicht an dem abrupten und etwas unerwartete Ende stören - womit ich aber eher meine Probleme hatte, ist der Mittelteil des Romans, der durch die wiederholten Schilderungen der Orientierungslosigkeit im Gebäude und der panischen Reaktionen von Mark-Alem, wenn er mit einer neuen, schwierigeren Aufgabe konfrontiert wird, teilweise langweilig wirkt. Natürlich ist die Wiederholungen ein Stilmittel, aber ich hätte mir gewünscht, dass Kadare diese Beschreibungen ein wenig abwechslungsreicher gestaltet. Trotzdem kann eine beinahe uneingeschränkte Empfehlung für den Roman aussprechen. Warum der Roman (wie im Grunde alle Romane von Kadare) in Deutschland so wenig bekannt ist? Ich weiß es nicht, werde aber sicherlich noch mehr von diesem Autor lesen.
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