Schlesien im Jahr 1844: Mitten im Spannungsfeld zwischen adligem Wohlstand und bitterer Armut wächst Elise von Achenthal auf – die Tochter einer wohlhabenden Familie, die eine Tuchfabrik besitzt und zugleich mit den Herausforderungen der Zeit konfrontiert ist. Die soziale Kluft, die zwischen ihr und den Arbeiterfamilien der Weber klafft, wird besonders deutlich, als sie sich für Marie stark macht – ein junges Mädchen aus prekären Verhältnissen, mit der sie eine tiefe Freundschaft verbindet.
Isabelle Jardin gelingt es eindringlich, diese Gegensätze in Szene zu setzen – mit präziser Sprache und viel Gefühl für historische Atmosphäre. Elise ist eine wunderbar vielschichtige Hauptfigur: empathisch, mutig, willensstark – und doch gezwungen, früh Verantwortung zu übernehmen. Zwei Männer kreuzen ihren Weg: Konrad von Radenau, ein Rittmeister, der sich für die Arbeiter und deren Lebensbedingungen einsetzt und zu dem Elise eine Tiefe Zuneigung verspürt. Ihre Begegnung ist elektrisierend, ihre Verbindung tief – fast schicksalhaft:
„Erdverbunden abgehoben. Fühlten nur. Und wussten!“ (S. 153)
Dem gegenüber steht Fletcher Cunningham aus London– wohlhabend, charmant, ein gesellschaftlich glänzender Fang. Doch was zählt mehr: Herz oder Pflicht?
Auch die Nebenfiguren sind fein gezeichnet – allen voran Tante Auguste, die kluge, direkte Nachbarin mit dem Herz am rechten Fleck:
„Wünsche muss man äußern. Mit verzagter Zurückhaltung kommt man zu nüscht.“ (S. 165)
Isabelle Jardin fängt das Frauenbild der Zeit sehr nuanciert ein – ihre Rolle zwischen Repräsentation und Rebellion, zwischen gesellschaftlicher Erwartung und individuellem Wunsch nach Selbstbestimmung. Die opulente Welt der Achenthals kontrastiert sie gekonnt mit den düsteren Einblicken in Armut, Hunger und soziale Missstände.
Ein bewegender Auftakt der Achenthal-Saga – voller Gefühl, Tiefe und starker Frauenstimmen. Für alle, die gemächlich erzählte historische Romane schätzen, bei denen Atmosphäre, Emotion und Haltung im Vordergrund stehen – auch wenn der große Spannungsbogen zugunsten der leisen Töne zurücktritt.