János Székely schreibt in seinem mehr als 70 Jahre verschollenen Roman „Eine Nacht, die vor 700 Jahren begann“ über die Ausbeutung und Unterdrückung der einfachen Landbevölkerung durch Adelige, aber auch durch die deutsche Besatzungsmacht. Sein Blick richtet sich dabei auf unterschiedliche Bevölkerungsgruppen bzw. Einzelpersonen eines fiktiven, ungarischen Dorfes im Sommer 1944. Er schreibt über faschistische Pfeilkreuzler, marodierende Wehrmachtsoldaten, allgegenwärtigen Hunger, die Unzufriedenheit der Bauern und zeigt die Auswirkungen von alltäglichem Antisemitismus und Antiziganismus. Die noch nicht 20-jährige Julka, die vermutlich zur Gruppe der Lowara gehört, hat ihre Familie verloren. Auf einem Todesmarsch ins Konzentrationslager trifft sie auf den ebenfalls gefangen genommenen Geiger-Prímás Marci, der lange Zeit dachte, seine Stellung als Musiker in einem Bordell, das von zahlreichen Besatzern gut besucht wird, würde ihn vor einer Deportation schützen. Julka und Marci gelingt die Flucht. Sie werden ein Paar und finden Unterschlupf auf einem etwas abseits gelegenen Hof bei dem verwitweten Bauern Garas, dem Julka zunächst ihren Körper und ihre Wahrsagekunst zum Tausch gegen eine geschützte Bleibe anbietet. Marci stellt sie als ihren Bruder vor. Schon bald entwickelt sich eine tiefere Zuneigung und Liebesbeziehung zwischen Julka und Garas, aber auch Marci bleibt Julkas Liebhaber.
Ein Erntestreik der Bauern liegt in der Luft. Sie wollen den Grafen zwingen, mehr als den üblichen Hungerlohn zu zahlen. Die Bauern führen hitzige Debatten über dieses Thema, besteht doch die Angst, der Graf würde sich ein solches Verhalten nicht gefallen lassen, ein Exempel statuieren und das gesamte Dorf dem Erdboden gleichmachen. Immer wieder erzählt man sich die Heldengeschichten eines Dani Kuruc, der den Adeligen einst die Stirn bot. Diese Figur geistert regelrecht durch die Geschichte und immer wieder behauptet jemand, kürzlich Dani Kuruc gesehen oder sogar mit ihm gesprochen zu haben.
Ich mag Székelys Art des ausschweifenden, bildhaften, warmherzigen Erzählens, die trotz der Fülle des Personals niemals unübersichtlich wird und einen beim Lesen sofort in eine andere Zeit und Umgebung katapultiert. Der Autor zeigt dabei eine große Empathie für die einfachen Leute und Personen am Rande der Gesellschaft.
„Verlockung“ und „Der arme Swoboda“ habe ich einst mit Begeisterung gelesen.
Bei „Eine Nacht, die vor 700 Jahren begann“ war ich mir zunächst sicher, erneut einen herausragenden Roman vor mir zu haben, der mit großer Erzählfreude in längst vergangene Zeiten eintauchen lässt.
Leider verliert sich Székely plötzlich über viele Seiten in endlosen Beschreibungen von Sexszenen und stellt die dramatischen Befindlichkeiten des sexsüchtigen Frauenhelden Marci, seine Verstrickungen mit Julka und anderen Frauen in den Mittelpunkt seines Interesses. Dadurch geht die für Székely so typische vielseitige Erzählweise verloren. Über mehrere hundert Seiten langweilte mich der Roman, bevor er im letzten Drittel wieder fast zu seiner anfänglichen Stärke zurückfand.
Ob Székely den Roman zu seinen Lebzeiten genauso veröffentlicht hätte, können wir wohl nie wissen. Verständlich, dass der Verlag das Manuskript, das übrigens nur in einer englischen Übersetzung vorliegt, nicht ohne Zustimmung des Autors ändern wollte. Kürzungen hätten dem Roman gut getan. Ulrich Blumenbach hat den mehr als 700 Seiten starken Roman ins Deutsche übersetzt.
Sehr interessant sind die beiden Nachworte, die getrost vorab gelesen werden können. Informationen zum Autor und die Entdeckungsgeschichte des Manuskripts helfen, die Entstehungsgeschichte sowie die Umstände der Publikation zu verstehen. Hinweise zur Übersetzung bzw. Sprache sowie ein umfangreiches Personenverzeichnis runden diese Ausgabe ab.