Rezension zu "Nur ein Rad im Getriebe" von Jérôme Kerviel
Ziemlich genau zum Ende seines Prozesses erschien in Buchform die Sicht von Jerome Kerviel auf sein Vergehen, für das er drei Jahre ins Gefängnis muss und sich anschließend zwei Jahre bewähren soll. Schließlich hat er noch die gewaltige Summe von fast fünf Milliarden Euro an seinen ehemaligen Arbeitgeber, die Societe Generale, zurückzuzahlen. Mal abgesehen davon, dass er das nie schaffen kann, verwirrt die Tatsache, dass sich der Schaden für die Bank wegen einer Steuererstattung auf zwei Drittel des ursprünglichen Betrages reduziert hat, dies aber Kerviel in seinem Urteil nicht angerechnet wurde.
Das Buch ist klar gegliedert. Zunächst wird das Vergehen aus Kerviels Sicht beschrieben. Diese Ausführungen zur Sache sind sehr nebulös und für Außenstehende wahrscheinlich reichlich unverständlich. Darüber hinaus offenbaren sie ein geringes Schuldgefühl Kerviels. Was das Buch aber so interessant macht, sind die Beschreibungen des Innenlebens der Bank und des Denkens seiner Manager. Ich habe das noch nie in einer solchen Offenheit gelesen, denn normalerweise herrscht dort ein unausgesprochenes Schweigegelübde, das Kerviel nur deshalb durchbrach, weil er sowieso nie wieder in einer Bank arbeiten wird.
Kerviel erzählt uns danach seinen Werdegang, schildert sein wahrhaft armseliges Leben als Banktrader, seine Verhaftung, den Gefängnisaufenthalt und die Prozessvorbereitung. Wenn man dieses schmale Buch liest, dann bekommt man vielleicht manchmal so etwas wie Mitleid mit seinem Autor. Macht man sich jedoch rational klar, was hier wirklich geschehen ist, dann verfliegt dieses Gefühl schnell. Außerdem verstrickt sich Kerviel in einige Widersprüche, was jedenfalls bei mir die Vermutung aufkommen lässt, dass einiges nicht so war, wie er es beschreibt. Immerhin ist es doch ziemlich erstaunlich, wie nur "ein Rad im Getriebe" einen Verlust produzieren kann, der die gesamte Bank ins Schlingern bringt. Aus Kerviels Text ist nicht ersichtlich, dass er darüber auch nur einmal bei seinem Tun nachgedacht hätte.
Was bleibt, ist neben dem Einblick in eine sonst verschlossene Welt, das Gefühl, dass Kerviel unter einem etwas weiteren Gesichtswinkel tatsächlich ungerecht behandelt wird. Der viel größere Schaden, den andere angerichtet haben und für den der Steuerzahler weltweit aufkommen muss, wurde noch nirgendwo gerichtlich bestraft. Ebenso sind seine Vorgesetzten relativ schadlos davongekommen.
Doch was hatte Kerviel eigentlich wirklich getan? Nachdem man ihn zum eigenverantwortlichen Trader der Bank befördert hatte, entwickelte sich seine Bilanz sehr schnell und viel besser als die anderer. Er gibt an, dass er für 2007 einen Gewinn von 1,5 Milliarden Euro erzielt hat. Doch schon in diesem Jahr lag er zwischenzeitlich mit über zwei Milliarden Buchverlusten in Größenordnungen, die alle Überwachungsmechanismen in der Bank in Panik hätte versetzen müssen. Sein Handelslimit von 125 Millionen Euro überzog er ständig in gigantischem Ausmaß. Angeblich wussten seine unmittelbaren Vorgesetzten davon, was glaubhaft erscheint, denn so lange Kerviel Gewinn machte, profitierten sie mit ihrem Bonus in viel höherem Maße davon als er selbst.
Kerviel gehörte ganz offensichtlich zu den Superhelden, die sich für unschlagbar halten, nachdem sie eine Gewinnphase durchlebt haben. Er schreibt, dass er seinen Milliardengewinn von 2007 durch Scheingeschäfte vor den Kontrollorganen der Bank verstecken wollte, um einen Puffer für 2008 zu haben. Bereits diese Aussagen sind zweifelhaft, sie beweisen aber Vorgehensweisen, die bei Eigenhändlern üblich zu sein scheinen. Nach Kerviels weiteren Aussagen wurden diese Manipulationsversuche entdeckt, worauf in den weiteren Untersuchungen auch seine damals aktuellen Buchverluste ans Licht kamen, die diesen angeblichen Gewinn bereits zunichte gemacht hatten.
Da die Bank zu dieser Zeit bereits mit riesigen Subprime-Verlusten in der Kreide stand, wurde Kerviels Desaster auch als Ablenkung davon genutzt und die überdimensionierte Long-Position in einem sowieso schon fallenden Markt mit erheblichen Verlusten glattgestellt. Kerviels Behauptung, er hätte das weniger verlustreich beenden können, ist zweifelhaft. Während er aufgrund seiner Marktmacht noch 2007 Bewegungen initiieren, also den Dax zum Beispiel manipulieren konnte, gelang das später nicht mehr, weil die Ereignisse um die Subprime-Krise seinen Einfluss übertrafen. Das verschweigt er natürlich ebenso wie seine gesamte Vorgehensweise.
Dass er danach der perfekte Sündenbock wurde, der dann auch noch den medialen Geiern zum Fraße vorgeworfen wurde, ist sicher nicht gerecht und für ihn schlimm. Doch wer heftig am Rad dreht, muss eben auch mit Zentrifugalkräften rechnen. Offenbar war ihm wie so vielen anderen in den Handelsräumen von Banken nicht bewusst, mit welchen Summen er da ständig in unverantwortlicher Weise hantiert. Zu Gute halten kann man ihm lediglich, dass er sich nicht persönlich bereichern, sondern lediglich die Schieflage seiner Position verschleiern wollte.
Liest man die Beschreibung seines täglichen Daseins, dann merkt man erst recht, dass er wie viele in diesem Geschäft eigentlich wie ein Junkie handelte. Kerviels tägliches Programm begann um sieben Uhr und endet abends nach 22 Uhr. Danach ging er noch in eine Kneipe und war nachts erst nach Mitternacht in seinem Bett, wo er aufgrund seines erhöhten Adrenalin-Spiegels nicht schlafen konnte. Keine Beziehungen, kein Ausgleich.
Was lehrt uns diese Geschichte? Entweder waren alle in dieser Bank außer Kerviel Volltrottel, oder aber - und das ist viel wahrscheinlicher - es gibt in solchen Instituten Regeln, die zwar jeder kennt, aber nicht einhalten muss, so lange er damit Erfolg hat. Wir werden das wohl nie erfahren, denn das allgemeine Schweigegelübde in den Banken und Kerviels Rolle als Sündenbock werden eine wirkliche Aufklärung verhindern.
Fazit.
Wenn man dieses schmale Büchlein liest, ist man manchmal geneigt, seinem Autor zu glauben. Doch trotz meines Mitgefühls für sein zerstörtes Leben, habe ich an einigen Stellen dann doch Zweifel an seiner Version bekommen. Ganz nebenbei bietet der Text eine Offenbarung der Verhältnisse in einer Großbank und der Denkweise ihrer leitenden Angestellten. Diese Leute leben in einer leider machtvollen Scheinwelt, die die wirkliche Welt in erheblichem Maße bedroht. Trotz der Einseitigkeit der Darstellung ist dieses Buch ein einzigartiges Dokument, das die erschreckenden Zustände in den Großbanken wenigstens etwas beleuchtet.