Rezension zu "Das Stockholm-Syndrom und der sadomasochistische Geist des Kapitalismus" von Jörg-Uwe Albig
M.Lehmann-PapeAm Ende mehr erschreckend als grotesk
Das Stockholm-Syndrom bezeichnet die wachsende Nähe und damit Solidarisierung der Opfer eines Kidnappings mit den Tätern. Und der Geist das Kapitalismus ist es, effizient den größtmöglichen Gewinn aus einer Sache zu ziehen. Und zwar nur das.
Wenn man nun im Kidnapping-Geschäft tätig ist und es dabei gelingt, dass das Opfer sich mit einem eng zusammenschließt, quasi als Komplize der eigenen Entführung dient und zudem der Wert effizient taxiert wurde für den maximalen Gewinn, dann passt doch beides zusammen. Eine saubere Entführung, entspannte Täter und Opfer und solider Gewinn. Eine gute Geschäftsidee, kann man sagen. Müsste doch auch die Coaching Katrin Perger einsehen, deren Stärke die mentale Beeinflussung ist (mit einem fundierten Wissen zum Stockholm-Syndrom). Der neue Auftraggeber zumindest sieht das so und Perker rutscht mehr und mehr in eine nur zunächst surreal klingende Welt.
Denn was Perker und, vor allem, dem Leser zunächst als surreal, hoffnungslos überzeichnet, zwar lustig und flüssig zu lesen, aber im Thema doch weit weg von der Realität zu sein scheint, wirkt nur in den hiesigen Breitengraden und nur auf den ersten Blick grotesk, surreal und kaum vorstellbar.
Zum einen gibt es eine „Entführungsindustrie“. Die sich zwar in der weltweiten Wahrnehmung meist auf den südamerikanischen Raum zu beziehen scheint, aber immerhin, es gibt sie. Nun mögen da manche „Einzelhändler“ oder „Banden“ (noch) wenig auf „Kundenbindung“ achten, aber was nicht ist, kann ja noch werden. Zumindest im zivilisierten Süden Deutschlands.
Das Albig mit erkennbarer Wonne Seite für Seite dieser „irren“ Seite des Kapitalismus nachgeht, die Grundzüge des immer stärker prägenden, gesellschaftlichen Denkens in reinen Gewinn und Verlustrechnungen, das Herausholen auch noch des letzten Cents und die Verachtung den „Armen“ gegenüber, den Gestrandeten (deren Funktion vielleicht vor allem der Angsterzeugung für alle anderen gilt, ja mindestens 100 Stunden die Woche alles dafür zu tun und jeden persönlichen Preis zu zahlen, eben nicht „auf der Straße“ zu landen und zu enden), das führt zunächst zu einer anregenden und fröhlichen Lektüre, führt dann zu bekannter Irritation über das „Geschäftsmodell“, bis dann am Ende, bei aller Freude am Stil und der Überzeichnung doch allmählich klamme Gefühle aufkommen. Mit der Frage versehen, ob man wirklich noch weit genug weg von solchen dann allseits zumindest als „normal“ angesehenen „Geschäftsmodellen“ ist, oder sich Albigs Ausführungen eher noch als „Vision“ herausstellen werden.
„Ich hoffe, Sie fühlen sich wohl bei uns. Die Zufriedenheit unserer Kunden liegt uns am Herzen“.
„Er nahm die Zeitschrift und verschwand in seinem Zimmer…Gursky schloss…..ab, doch es sah so aus, als spürte er nicht den Kunden ein, sondern alle anderen aus. Und damit auch mich“.
Nimmt man das einfach so hin, wird alles andere fast wie normal. Geschäfte eben.
„Wie alle beobachteten mit Befremden, dass der Vertrieb in Glimpflingen jetzt offenbar versuchte, über die Preisgestaltung Einfluss auf den Verkaufserfolg zu nehmen. Aus den zwanzig Millionen…..waren erst achtzehn Millionen geworden, dann zehn, schließlich drei. Was nichts kostet, ist auch nichts wert, mäkelt Herr Klein auf seinem Liegestuhl“.
Wobei die Geisel ebenfalls solche Gedanken wohl hegt und daher eine überraschende Lösung am Ende finden wird, mit der nicht alle Geiselnehmer einverstanden wohl waren. Aber wer hat schon eine Wahl in alternativlosen, kapitalistischen Zeiten……