Harmonische Disharmonien
Zwei Männer, eine Frau - der eine ist mit ihr verheiratet, der andere ihr Liebhaber. Beide sind zudem miteinander verwandt. Onkel und Neffe berichten in abwechselnden Erzählsträngen von den Schwierigkeiten in der Liebe und im Leben im Allgemeinen sowie mit Frauen im Besonderen. Jürg Beelers feinfühlig komponierter Blick ins Innere der menschlichen Seele.
Ein leichter Luftzug, ein Hauch nur, streift durchs Geäst und lässt eine kleine Melodie in unserem Ohr erklingen. Wir sehen uns um, die Sonne spiegelt sich im Silber der Metallstäbe - ein Windspiel. Die scheinbar losgelöste Bewegung, die sphärenartigen, zarten und harmonischen Klänge üben eine besondere Faszination aus, sie beruhigen und verzaubern uns. Immer wieder ist man gewillt, durch Impulsgebung die Töne erneut hervorzulocken.
Windspiel heißt auch einer der zwei Hauptprotagonisten im schmalen Roman des Schweitzer Schriftstellers Jürg Beeler. Und fast scheint es, dass der Autor den Namen nicht zufällig gewählt hat. Denn Joachim Windspiel - Mitte 50 - ist ein Mann, der fremden Anstoß benötigt, um in Schwung zu kommen. Er lebt scheinbar schwerelos, allein mit seinem Tenorsaxophon, in den toskanischen Tag hinein, ohne nennenswerte Hochs und Tiefs, in keiner Gegenwart, aber auch keiner Zukunft und Vergangenheit. Seine Mutter, mit der er sich zeitlebens nicht gut verstand, ist gestorben und Joachim Windspiel sinniert über sein Leben: "Ich denke nach, über den Himmel, die Ruhe, das Glück, und die ungeheuerlichsten Dinge gehen mir auf, ungeheuerliche Dinge, die ja gerade darum ungeheuerlich sind, weil sie sich nicht ändern lassen, wie sich ja nichts ändern läßt im Leben."
Alter, Leidenschaft und Musik
Ohne irgendwie in den Lauf der Dinge aktiv einzugreifen, ist er schon Zeit seines Lebens eher ziellos durch die Welt gestrauchelt. Früher waren es Alkohol, Drogen und seine professionell ausgeübte Musik. Nach einer radikalen Abkehr von ersteren beiden, nur noch letztere, die die erwünschte Stille und Leidenschaft einfängt. Windspiel ist sein eigener Solist geworden, spielt - nicht nur mit seinem Tenorsaxophon - einen ständig wiederholenden, von Selbstmitleid geprägten, variationsreichen Chorus für "seine Frauen". Immer noch sind sie ein wichtiger Bestandteil seines Lebens, sorgen sie doch für die nötigen Impulse zum Erklingen seiner Töne.
Allerdings fällt der erforderliche Impetus meist allzu heftig aus. Sei es die Ehefrau, die ihn vor die Tür setzt, seine Mutter, aus deren Nachlass der Inhalt von 27 Briefen ihm schwer zu schaffen macht, eine alte Freundin, mit der er ins Bett geht, obwohl er sie nicht ausstehen kann und nicht zuletzt seine Tante Isabel, in deren Ferienhaus er sich einquartiert hat und nicht nur den Küchentisch mit ihr teilt. Aber auch hier scheint die Harmonie gestört.
Doch Johannes Windspiel ist nur ein Erzählstrang, den Jürg Beeler in seine kunstvolle Erzählung einflicht. In stetem Wechsel kommt noch ein weiterer Mann zu Wort, der in einem kausalen Zusammenhang zu Windspiel steht: Alessandro Ducino, der 72-jährige Ehemann eben jener Isabel. Er lebt in der norddeutschen Tiefebene, in dem anderen Haus seiner Frau, das die Hausherrin nur noch selten betritt. Mit ihrem Ehemann verbindet sie kaum noch etwas.
Ducino, ein feinsinniger Geisteswissenschaftler hat eine Hirnblutung relativ gut überstanden und zieht sich mehr und mehr aus dem Leben in die Stille seiner Turmzimmer-Bibliothek zurück. "Je kleiner das Ego, desto heller der Geist, und je heller der Geist, desto schwärzer der Blick auf die Dinge, das ist ein Satz, den ich, Alessandro Ducino, der Welt mitgeben möchte. (...) ich sitze hinter Gittern, meine Tage ziehen gleichförmig vorüber. (...) ein Gefangener und ein Ausgestoßener zugleich." Passionen entwickelt er nur noch für seine Bücher. Er lebt in den Versen Rilkes, den Gedanken von Blaise Pascal, Seneca oder Mark Aurel sowie den Erinnerung an vergangene Leidenschaften.
Poetische Bilder und sprachlich gelungener Text
Zwei Männer, zwei Lebensreflexionen mit ähnlichen Ansätzen: beide kommen mit der lauten Welt nicht gut zurecht. Frauen begleiteten zwar immer ihren Weg, erzeugten jedoch nie wirklich harmonische Schwingungen. Jürg Beeler zeichnet äußerst sensible und einfühlsame Porträts, die sich trotz aller Zusammenhänge und Gemeinsamkeiten (immerhin teilen sie sich ein und dieselbe Frau), stark voneinander unterscheiden. Dabei schaut er seinen beiden Protagonisten tief in die Seele und reflektiert Bilder von äußerst sensiblen Menschen, deren Leidenschaftspendel eine weniger starke Amplitude erzeugt. Ihr Glück ist ein subtileres, feinfühligeres, das leiser vibriert. Und wieder fällt der Vergleich eines Windspiels ein, dass, schlägt man es zu kräftig, nur noch disharmonische Töne erzeugt.
Eine Frau schafft es jedoch, dieser wohldosierte Impuls zu sein - die Kellnerin Angelina.. Johannes Windspiel bezeichnet sie gar als die Zukunft. Sie bleibt während des gesamten Romans zwar weitgehend passiv, spricht nur wenige Worte, wirkt aber als einzige autark, nahezu rein, in den düsteren Gedanken der beiden Protagonisten und ihren schlechten Erfahrungen mit der starken Weiblichkeit. Der Autor hat sie nicht umsonst als Titel gebende Person gewählt und ihr ein Solo gewidmet.
Jürg Beeler erzählt seinen Roman in poetischen Bildern und mit großem Gefühl, aber immer äußerst glaubhaft und ohne sentimental und kitschig zu wirken. Seine Protagonisten werden bewusst nicht vollständig "durchkomponiert", sondern diese "Vollendung" findet ausschließlich im Kopf des Lesers statt, der sich ohne Probleme unmittelbar in sie hineinversetzen und Ableitungen und Schlussfolgerungen auf seine Art ziehen kann.
Das eigentlich Bestechende an diesem Buch ist nicht die Handlung, die mehr oder weniger gar nicht vorhanden ist, sondern die äußerst sensible und sprachlich gelungene Darstellung der Gefühlswelt seiner Protagonisten, die zwar meistens in Erinnerungen schwelgen und eine gewisse Lebensdistanz aufweisen, jedoch immer mit bereitwilliger Selbstironie darüber berichten.
Fazit:
Jürg Beeler hat mit "Solo für eine Kellnerin" ein wunderbar sensibles, feinfühlig-virtuoses, melancholisches Klangstück - beinahe wie für ein Windspiel - komponiert.
Ein Schweizer Autor, dessen Name man sich merken, besser: dessen Bücher man lesen sollte.