Das Deutschland „Weltmeister der sozialen Ungerechtigkeit“ sein könnte, wie es der Klappentext provozierend fragt, ist dann doch sehr weit hergeholt. Nicht, weil im Sozialsystem des Landes also zum Besten stünde, wohl aber, weil ohne groß Nachzudenken vielfache Nationalstaaten vor Augen stehen, die in dieser Hinsicht noch bei Weitem abgeschlagener sich darstellen. Ob soziale Unterstützungen von der Rente bis zur Grundsicherung wirklich nur „schöner Schein“ sind, würden jene Menschen, die auf diese Unterstützungen angewiesen sind, sicher nicht unterstreichen. Und auch Borcherts starke Kritik an der „Semantik der Rechtssprechung“ in der Sozial- und Familienpolitik ist ein Waisenkind gegen amerikanische „Verdrehungsverhältnisse“.
Dennoch aber, legt man die Spitzen und die Polemik einmal zur Seite, natürlich verweist Borchert zu Recht und durchaus mit nachvollziehbaren und fundierten Argumenten auf eine zunehmende Schieflage und eine zunehmende Aushöhlung der sozialen Systeme, des Gedankens eines solidarischen Miteinanders und der durchaus in manchen Fällen nachweisbaren starken Interessenleitung bei der „Umverteilung“.
Und das alles im Stil mit Ironie und durchaus starken Worten. Die Borchert bedenkenswert auszufüllen versteht. Denn nicht er ist es, der eine „Zechprellkultur der Eliten“ „erfindet“, eine solche ist ja an vielfachen Fakten und Zahlen abzulesen. Und ebenso überzeugend legt Borchert offen, wie sehr es nach dem Ende des zweiten Weltkrieges und der darauffolgenden Jahre des wirtschaftlichen Aufschwunges versäumt worden ist, den Sozialstaat jeweils seinem Impetus gemäß anzupassen und zu verändern.
Wie Borchert dabei das Argument der „10 und 50 Prozent“ zerpflückt (10 Prozent der Bevölkerung zahle 50 Prozent der Einkommensteuer) und dabei auf den tatsächlichen und diese Zahlen sehr relativierenden Anteil der direkten Steuern bezogen auf die Gesameinnahmen des Staates durch Steuern verweis, das ist schon sehr erhellend und rückt so manche Argumente zum „Schutz der (armen, weil viel Steuern zahlenden) Eliten“ überzeugend ins Reich der Fabel. Jene „indirekten Steuern“ sind es auch, die in Borcherts Darstellung mit einen zentralen Platz einnehmen und an denen er die Gerechtigkeitsfrage in den Raum stellt.
Deutlich arbeitet Borchert somit das Bild heraus, dass „der Normalverdiener“ die Zeche zahlt, der auf Unterstützung angewiesene Teil der Bevölkerung eher „abgespeist“ wird und sich ein anderer Teil dafür weitgehend ungestört und gar noch „gefördert“ die Taschen füllt.
„Verhängnisvolle Verteilungsfehler“, wie Borchert nicht müde wird, zu betonen, die das gesamte Gebilde der sozialen Gemeinschaft massiv gefährden.
Das ihm dabei, in eigenen Worten, „der Kragen platzte“, erklärt sicherlich die stark wertende und empörte, auch übertreibende Sprache. Angesichts einer „politischen Optik“ der „Bürger- und Familienunterstützenden“ Haltung, hinter der sich in Wahrheit nichts anderes als eine „Transferausbeutung“ in Borcherts Augen verbirgt. Was er nicht nur einfach so behauptet, sondern an Zahlen, Statistiken, der Gesetzgebung, der Steuerpraxis und der Auslegung all dessen in der „Rechtssemantik“ festmacht.
Auch wenn in der Sprache empört, polemisch, ironisch und überspitzt formuliert wird und auch wenn nicht jede Kritik in dieser teils vernichtenden Form im Buch nachvollzogen werden muss, eine interessante, belegte und „Augen öffnende“ Lektüre auf eine „Transfergesellschaft mit falscher Richtung“ bietet das Buch in hohem Maße. Für einen „rüden Umgang mit den .... Interessen der „kleinen Leute“ seit Langem bereits bietet Borchert auf jeden Fall bedenkenswerte Argumente.