Rezension zu "»Ich brauche Deine Briefe«" von Jürgen Köchel
Schicksalsfreundschaft.
Erneut liegt jetzt ein Briefwechsel von Paul Celan vor, dieses Mal mit seinem Schulfreund Gustav Chomed.
In verdienstvoller Weise haben sich Barbara Wiedemann und Jürgen Köchel mit den Briefen befasst, die er mit seinem Freund Gustav Chomed über einen langen Zeitraum hinweg ausgetauscht hatte. Seine Briefe und Chomeds Antworten sind liebevoll zusammengetragen worden. Der kleine Band ist mit ausführlichen Anmerkungen versehen, weist Faksimiles und zahlreiche Fotos auf und richtet einmal mehr den Blick auf den sensiblen und hoch empfindlichen Dichter in seiner ganzen diffizilen Persönlichkeit.
Paul Celan hat mit Gustav Chomed, die beide 1920 geboren wurden, in Czernowitz die Schule besucht. Eine lange Freundschaft verbindet sie.
1938 datiert der erste Brief von Paul Celan an den Freund. Celan studierte zu der Zeit in Paris und quälte sich mit Geldsorgen. Ihre Freundschaft ist so eng, dass er sich nicht scheut, ausführlich darüber zu berichten.
Nach einer langen Pause, in der beide geheiratet und jeder Vater geworden ist, nehmen sie 1962 ihren Kontakt wieder auf. Mittlerweile gehen sie ihrer eigenen Wege. Chomed war während des Krieges in der Sowjetunion und lebte später wieder in Czernowitz. P.Celan wohnte in Paris und war im Zusammenhang mit der Gollaffäre mehrfach in psychiatrischer Behandlung. Man weiß, dass ihn seine Kränkung über die ungerechtfertigten Anschuldigungen der angeblichen Plagiierung von Golls Gedichten tief erschüttert und nach Klinikaufenthalten und Trennung von seiner Frau Gisèle Celan- Lestrange zuletzt in den Tod geführt hat.
Der hier vorliegende Briefband zeugt von einer sehr engen und treuen Freundschaft, nach der sich P. Celan sehnte. Die Töpfergasse in Czernowitz verkörperte für ihn in der Erinnerung Kindheit und liebevolle Vertrautheit mit dem Freund. Lebenslänglich blieb Celan später ein Fremder in der Welt, der seine Heimat verloren hatte. Seine Familie war im KZ umgekommen.
Chomed blieb mit seiner jüdischen Frau in Czernowitz, weil ihm eine Ausreise nach Israel von den Behörden lange Jahre verweigert wurde.
In den Briefen klingt gegenseitige Zuneigung und ein stetes Bedürfnis nach Nähe an. Der Briefwechsel blieb von Phasen des Schweigens unterbrochen, wenn es dem einen oder anderen schlecht ging. Bedrückend sind die Hinweise, dass das Leben derjenigen, die das KZ überlebt hatten, lebenslänglich als schwere Last nur zu bewältigen war. Zwischen den Zeilen spürt man die Sehnsucht nach Verlässlichkeit, die in den Briefen als ständige Aufforderung nach weiteren Nachrichten verschlüsselt zum Ausdruck gebracht werden. Man möchte die Briefe mehr als Lebenszeichen denn als einen intensiven Gedankenaustausch bezeichnen. Celans tragisches Leben zeigt sich einmal mehr von liebevollen und sehnsüchtigen Beziehungsmustern getragen.
Am Ende bleibt der letzte Brief Chomeds an Paul Celan unbeantwortet. Celan hatte sich am 20. April 1970 das Leben genommen.
Durch die zahlreich erhaltenen und erschienenen Briefwechsel von Paul Celan mit Freunden bleibt durchgängig die Erkenntnis, dass er schwer am Leben trug. Seine Freundschaften bildeten die Brücke zu Welt, die zuletzt jedoch brüchig wurde und ihn nicht halten konnte.
Die beiden Herausgeber Barbara Wiedemann und Jürgen Köchel fügen den vorhandenen Briefwechseln einen weiteren hinzu, der die Lebensspuren Celans transparent macht und wie ein weiterer Mosaikstein zu seiner Geschichte erscheint.