Cover des Buches Gnadenzeit (ISBN: 9783957340276)
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Rezension zu Gnadenzeit von Jürgen Mette

Noch ist Gnadenzeit. Noch ist Zeit zur Umkehr.

von LEXI vor 9 Jahren

Rezension

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LEXIvor 9 Jahren
„Noch ist Gnadenzeit. Noch ist Zeit zur Umkehr. Noch könnte er aus der Finsternis ans Licht treten, Gnade erleben, Amnestie zugesprochen bekommen. Er bräuchte nur 400 Meter hinuntersteigen und sich dem Gastwirt offenbaren. Ich bin der Zeuge. Ich kenne den Täter, und ich kenne das Opfer.“

Ein Mordzeuge, dessen Identität zu Beginn des Buches noch im Dunkeln liegt, hadert mit sich und seinem Gewissen. Es gibt Gründe, die ihn daran hindern, seine Beobachtung zu melden. Und so wird die Leiche der jungen Frau erst entdeckt, als der Täter längst über alle Berge ist. „Tote Frau im Oytal gefunden“. Dieser Anruf leitet für den Oberkommissar bei der Kripo Kempten das Ende eines gemütlichen Fernsehabends ein, bevor dieser überhaupt begonnen hatte. Alois Bachhuber aus Oberstdorf nimmt gemeinsam mit seinem Assistenten Sepp Brutscher die Ermittlungen in diesem Fall auf, wobei sich rasch herausstellt, dass die Polizei es mit einem Mord zu tun hat. Die Spuren führen zu einer Sekte, und die Kriminalbeamtin Maria Sonnlaitner als Expertin im kirchlichen Milieu ist durch ihre einfühlsame Befragung von Zeugen und Verdächtigen eine überaus wertvolle Hilfe. Als die Identität des Mordopfers geklärt ist und die Kriminalbeamten die Familie befragt, treffen sie auf ein beklemmendes Umfeld und aktive Unterstützer und Mitglieder des despotischen Sektenführers August Haupt. Je weiter die polizeilichen Ermittlungen fortschreiten, umso erschreckendere Dinge kommen ans Licht. Fassaden beginnen zu bröckeln, und was jahrelang im Untergrund schwelte, drängt nun mit einer Urgewalt zutage.

Ich muss zugeben, dass ich bislang nur wenige christliche Kriminalromane gelesen habe, und meine Erwartungshaltung hoch war. Der Einstieg in das Buch ist dem Autor zunächst vortrefflich gelungen, der einnehmende Schreibstil gepaart mit einer großen Portion Humor bereitete mir aufgrund der Aussagen des Ehepaars Bachhuber großes Lesevergnügen. Die bildhafte Sprache ließ die Schauplätze der Handlung vor meinem inneren Auge lebendig erscheinen, die relativ häufige Verwendung des regionalen Dialekts im Buch empfand ich als stimmig. Die Krimihandlung an sich hat mich jedoch ein wenig enttäuscht. Spuren werden eher oberflächlich verfolgt, Aussagen nicht überprüft, von Tatortspuren und näheren Details zu den Ermittlungen erfährt der interessierte Leser nur wenig. Der häufige Wechsel des Schauplatzes und der agierenden Personen war durch separate Kapitel gekennzeichnet, die ihrerseits jeweils durch eine ganzseitige Abbildung immer derselben Landschaft in Schwarz-Weiß klar vom vorangegangenen Inhalt getrennt wurden. Die Handlung wies einen sehr niedrigen Spannungsfaktor auf, die verdächtigen Personen offenbarten sich dem Leser sehr rasch, auch die Auflösung des Falls stellte für mich keine wirkliche Überraschung dar.

In diesem Buch wurde dem Glauben bzw. der Art und Weise, wie Menschen diesen ausleben, großes Augenmerk zuteil. Der psychologische Aspekt und die Geschichte um den despotischen Sektenführer August Haupt, der die kleine Versammlung in der Forstgasse leitete, lässt die Krimihandlung ein wenig in den Hintergrund treten. Bereits nach dem ersten Drittel des Buches konzentriert sich der Autor verstärkt auf die Vergangenheit des Opfers und das Umfeld, in dem es gelebt hatte. Relativ gut beschrieben wurde die Art und Weise, wie eine Sekte entstehen kann. Wie das Ansinnen einer seriösen Glaubensgemeinschaft, Menschen zu Jesus Christus führen zu wollen, gemeinsamen in der Bibel zu lesen und zu beten, die Kinder in Gottesfurcht zu erziehen und das Leben Gott zu weihen, ganz rasch aus dem Ruder geraten kann. Er zeigt auf, welche Umstände dazu führen, dass sich ein ungebildeter Laienprediger mit psychischen Problemen und einer radikalen Ideologie zum dominanten Sektenführer aufschwingen kann, zum Fanatiker wird und sich dabei selbst als das Maß aller Dinge betrachtet. Jürgen Mette verdeutlicht, wie eine kleine Glaubensgemeinschaft ihre Fassade der Rechtsgläubigkeit zur Schau stellt, hinter der sich jedoch Abgründe verbergen. Wo Kontrollwahn und körperliche Züchtigungen, psychologischer und körperlicher Missbrauch sowie eine radikale Abkehr von einem so genannten „saft- und kraftlosen anonymen Namenschristentum“ Kinderseelen wie auch erwachsene Menschen zu zerbrechen vermag. Ich hatte während der Lektüre den Eindruck, dass die Bibel als Basis des christlichen Glaubens in diesem Buch negativ dargestellt wird. Zwar kann man das Verhalten eines Jakob Weber oder eines August Haupt keinesfalls auch nur im Geringsten nachvollziehen oder gar gutheißen, dennoch vermeinte ich eine stets unterschwellig präsente Kritik an Menschen zu spüren, die die Bibel als Grundlage ihres Glaubens betrachten.

Mir ist die Bewertung dieses Buches schwer gefallen. Einerseits empfand ich die mit viel Humor gespickten Dialoge des Oberkommissars Bachhuber als erfrischend und amüsant. Andererseits fehlte es mir bei der Krimihandlung eindeutig an Spannung sowie an detaillierter Ermittlungsarbeit. Im Grunde nahm ich das Buch als Bericht über eine Sekte, bei dem das zentrale Augenmerk auf das Glaubensleben gelegt wird, wahr.

Die optische Aufmachung des Buches wirkt düster und bedrohlich – und zwar sowohl die tiefschwarze Covergestaltung, als auch die dreißig identischen schwarzen Buchseiten, die jedes der Kapitel einleiten. Ich vermute, dass hier danach getrachtet wurde, die negative Grundstimmung, die Dunkelheit, die Angst und Schrecken vermittelnden Lehren der Sekte, optisch darzustellen.

Gnadenzeit – ein Buch, das ich für meine Person nicht ganz eindeutig dem Genre Kriminalroman zuordnen, sondern vielmehr als psychologischen Spannungsroman bezeichnen würde. Eine Lektüre, der ich mit gemischten Gefühlen gewidmet habe.

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