Jürgen W. Falter

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Lebenslauf

Jürgen W. Falter war von 1993 bis 2012 Inhaber des Lehrstuhls für Innenpolitik und Empirische Politikforschung an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Von 2012 bis 2019 hatte er dort eine Forschungsprofessur am Institut für Politikwissenschaft inne. Seit 2001 ist er Mitglied der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz.

Quelle: Verlag / vlb

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Neue Rezensionen zu Jürgen W. Falter

"Die Spuren schrecken – nach wie vor"

Hinter diesem monumentalen Werk des Parteienforschers Falter stehen sieben Jahre intensive Forschungsarbeit, die so früher gar nicht möglich gewesen wären. Falter hat Mitgliederdateien der NSDAP ausgewertet und kommt dabei zu Ergebnissen, die spekulative Annahmen früherer Historiker widerlegen. Bereits in seinem früheren Buch über die Wähler der NSDAP ermittelte Falter einen Arbeiteranteil von nahezu 40 %. Das zerstört die nicht durch Fakten untermauerte These, dass Hitlers Partei überwiegend von Leuten aus der Mittelschicht gestützt wurde.

Auch heute noch wird der Bezug der NSDAP zu Spielarten des Sozialismus gerne entweder verschwiegen oder völlig abgestritten, obwohl Sozialismus bereits im Namen dieser Partei vorkommt. Auf Seite 436 liest man bei Falter im Kapitel 8 (Eintritts- und Austrittsmotive): "Hand in Hand mit dem Ideal der Volksgemeinschaft ging häufig der Wunsch nach einer Abschaffung von Privilegien und des Klassensystems der Gesellschaft. Häufig finden sich auch Bezüge zur Frontgemeinschaft mit dem Ziel der Beseitigung der Klassenschranken und dem Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit über die Klassen hinweg. Die Verbindung von Nationalismus und Sozialismus im Namen und im Programm machte einen großen Teil der Attraktivität des NS aus."

Gegen Ende des Dritten Reiches hatte die NSDAP fast neun Millionen Mitglieder. Damit es nicht noch mehr wurden, verfügten die Parteioberen bereits in den Jahren davor mehrere Aufnahmestopps. Hitler selbst hatte schon in seinem bekannten Machwerk lange vor seiner Machtergreifung vermutet, dass seine Partei sich danach nicht vor neuen Mitgliedern wird retten können, was ihm nicht recht war. Denn er wollte keine Opportunisten. Aber wie man das auch in der verblichenen DDR beobachten konnte, war eine Parteimitgliedschaft eine gute Grundlage für eine Karriere, denn dann musste man sich beispielsweise nicht mehr erklären und geriet seltener in den Verdacht ein Gegner des herrschenden Systems zu sein.

Am Ende des Dritten Reiches war jeder siebte Wahlberechtige in Deutschland Mitglied der NSDAP. In der DDR gab es 1989 ungefähr zwei Millionen SED-Mitglieder, was ungefähr auf den gleichen Anteil bei den Wahlberechtigten schließen lässt. Man war nicht gezwungen SED- oder NSDAP-Mitglied zu werden. Schaden konnte es in den entsprechenden Zeiten jedoch nicht.

Falter untersucht auch die Strukturen der NSDAP unter verschiedenen Gesichtspunkten: die Altersstruktur, den Anteil der verschiedenen sozialen Schichten, den Anteil der Geschlechter, die Dynamik der Mitgliederbewegung, die Demografie der NSDAP-Mitglieder, ihre sozialen Trägerschichten und die Besonderheiten in Österreich und im Sudetenland.

Schließlich findet man am Ende des Buches ein kurzes Fazits Falters und eine Diskussion seiner Forschungsergebnisse. Unter anderem erörtert Falter dort die Kollektivschuldhypothese für NSDAP-Mitglieder, beschäftigt sich mit der Frage, wie viele Mitläufer es tatsächlich gab oder wie tief Hitlers Ideologie wirklich in die Mitgliedschaft seiner Partei eingedrungen war.

Dieses wichtige Buch basiert auf Fakten. Deshalb kann es auch mit zahlreichen Mythen aufräumen, die absichtlich oder spekulativ gestreut wurden. Bei manchen Ideologen passt das zwar nicht in ihr Weltbild, aber bestreiten lassen sich Fakten nicht. Man kann sie höchstens ignorieren.

Wer sich jedoch ein realistisches Bild über die Mitgliedschaft der NSDAP machen möchte, kommt an diesem Werk nicht vorbei. Es richtet sich nicht nur an die Fachwissenschaft, sondern vor allem an interessierte ganz normale Leser. Allerdings dürfen sie nicht erwarten, dass das material in einem lockeren Stil dargeboten wird, dazu ist diese Arbeit einfach zu wichtig. Falter hat sein Buch so angelegt, dass man es kapitelweise lesen kann, sich also nicht an die Reihenfolge der Kapitel halten muss.

Spannend und innovativ

Wer sich für dieses Buch interessiert, dem kann ich auch sehr das Folgebuch von Falter "Wie ich den Weg zum Führer fand" empfehlen, das Interviews mit NSDAP Mitgliedern auswertet.

Dieses Buch ist sehr gut recherchiert und analysiert die NSDAP empirisch, was etwas ist, das lange gefehlt hat. Top!

Umfangreiche Studie zu den NSDAP-Mitgliedern

Über zehn Millionen Menschen schlossen sich der NSDAP an – doch wer waren sie? Wer durfte überhaupt Mitglied werden und welchen sozialen Schichten entstammten die Mitglieder? In einer jahrelangen Studie wurden über 50.000 Stichproben aus den Mitgliederkarteien ausgewertet. Das Ergebnis liegt in diesem Buch vor. 



Das Buch beschäftigt sich mit den Mitgliedern der NSDAP. Diese mussten die Mitgliedschaft aktiv und (zumindest dem Anschein nach) freiwillig beantragen. Akribisch wurde Buch geführt und jeder Antrag geprüft. Dadurch sind viele Dokumente erhalten, auf die sich die vorliegende Studie bezieht. Um die Partei zu charakterisieren werden hier nicht Einzelschicksale aufgeführt (zumindest nur in sehr kleiner Anzahl), sondern auf statistische Verfahren zurückgegriffen, die einen Überblick über die Gesamtheit der NSDAP geben sollen. Damit einher geht die Präsentation der Ergebnisse, die sich auf quantitative Fakten bezieht. Die statistischen Werte – seien es Gesamtzahlen oder prozentualen Werte - werden einerseits in den Text integriert, können andererseits anhand der vielen Tabellen abgelesen und selbst interpretiert werden.


Das Buch beginnt mit dem Kapitel „Wer durfte NSDAP Mitglied werden?“. In ihm wird die Geschichte der Partei aufgezeigt samt der zeitlichen Perioden, die Einfluss auf die folgenden Daten haben. Von der Etablierung der Partei über ihr Verbot, ihr erneutes Aufkommen, der (teilweisen) Schließung für Neumitglieder und einer Wiederöffnung ebenso wie der gezielten Aufnahme von bestimmten Neumitgliedern bekommt man hier schon einen Überblick über die Einflüsse, die die Mitgliederzahlen bestimmen. Das nächste Kapitel widmet sich den Mitgliederzahlen im Ganzen. Diese werden in den folgenden Kapiteln aufgeschlüsselt auf demografische Eigenschaften, wie Alter, Geschlecht, Familienstand und Ortsgröße aber auch auf die Zugehörigkeit zu einem sozialen Stand. Da sich der auf die Einkommensquelle bezieht, wird im Kapitel „Soziale Trägerschichten“ auf die Berufe der Mitglieder eingegangen. Genauer betrachtet werden dann die Anschlussgebiete Österreich und das Sudetenland und die drei Millionenstädte Hamburg, Berlin und Wien. 


Dadurch, dass sich die Fakten im Großteil des Buches auf statistische Werte beziehen, wirken sie mitunter trocken. Bewusst werden (außer beim letzten Abschnitt) Einzelschicksale ausgelassen und der Blick auf die Gesamtheit geworfen. Nur in einigen Fällen gibt es Interpretationen der Ergebnisse, die sich nicht direkt auf die Ergebnisse beziehen. Herangezogen werden frühere Studien und Annahmen, die zum Teil widerlegt werden konnten. Besonders die verbreitete Annahme, dass es sich bei der Partei um eine von der Mittelschicht getragene gehandelt hat, konnte anhand der Daten widerlegt werden. Vergleiche der Werte für das gesamte Reich mit denen der Anschlussgebiete und der Millionenstädte zeigten Ähnlichkeiten aber auch Abweichungen. 


Ein Blick wird auf die Austritte und Wiedereintritte geworfen. Dieses Kapitel unterscheidet sich insofern von den anderen, als dass es sich nicht auf die Auswertung der Mitgliederkarteien bezieht (da dort keine Angaben dazu gemacht werden), sondern drei Quellen hinzunimmt, die von älteren Publikationen genutzt wurden. Die Frage nach dem Warum eines Eintritts in die Partei ist viel persönlicher, als die statistischen Angaben, die bis dahin im Buch ausgewertet wurden. So werden hier auch deutlich mehr persönliche Meinungen und Einzelschicksale aufgezeigt. Durch die unterschiedlichen Adressaten der Befragungen (die Partei selbst, die amerikanische Öffentlichkeit und die Entnazifizierungsbeauftragten) ergaben sich interessante Diskrepanzen. Das Thema wäre eine genauere Betrachtung wert – ich hätte gerne mehr davon gelesen.


Schon im Vorwort war ich von der Arbeit beeindruckt, die hinter den Ergebnissen steckt. Die Stichprobenanzahl übersteigt bei weitem jene von vorangegangenen Studien (aus denen dennoch bestimmte Schlüsse gezogen wurden). Besonders interessiert war ich an der Aufschlüsselung nach den demografischen Eigenschaften und den sozialen Schichten. Auch wenn die Gesamtheit der Aufteilung der Mitgliederzahlen hierbei keine Aussagen über persönliche Gründe für einen Ein- oder Austritt bzw. den Einfluss der Partei auf die jeweiligen Leben geben können, fand ich die Ergebnisse interessant. Besonders auch, weil sich hier nicht nur Informationen über die Partei ablesen lassen, sondern auch über die damaligen demografischen Aufteilungen abseits der NSDAP. Überrascht wurde ich von den genauen Parteistatistiken und der Nazibürokratie, die immer wieder als Vergleich herangezogen wird. 


Fazit: Die Forschungsergebnisse fand ich interessant. Viele Daten geben Anlass für weitere Studien. Ein gewisses Interesse am Thema und eine Affinität zu Zahlen/statistischen Werten setzt das Buch aber voraus – ansonsten ist es nicht leicht zu lesen. 

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