Schere im Kopf oder freischwebendes Gefühl – die Emanzipation der Liebe
von marstraveller
Kurzmeinung: Realistische Figuren, ein in seiner Nüchternheit sehr verdichteter Schreibstil und eine mutige Botschaft zur Frage der Liebe
Rezension
„Nur eine Frage der Liebe“ gehört in das Figurenuniversum, das die Autorin mit ihrem Debütroman „Benjamins Gärten“ (2010) erschaffen hat, ist aber von der Konzeption vollkommen eigenständig und auch ohne die Kenntnis der beiden Vorgängerromane zu verstehen. Die Handlung spielt ungefähr zwei Jahre nach den Ereignissen, von denen in „Phillips Bilder“ erzählt wurde.
Als der Berliner Fotografiestudent Phillip mit dem etwa 26 Jahre älteren Galeristen Christoph flirtet, tut er das mehr aus Übermut und vielleicht auch mit dem Hintergedanken, für die kleine Künstlergruppe, der er angehört, hilfreiche Kontakte zu knüpfen, um die Möglichkeit zu erhalten, die eigenen Werke auszustellen. Doch schon bald stellt sich heraus, dass die beiden ungleichen Männer mehr verbindet als die geschäftliche Ebene des Kunstmarktes. Sie harmonieren in Bezug auf ihre Interessen, können entspannt miteinander reden und fühlen sich auch körperlich zueinander hingezogen. Aus einer anfänglich eher locker gedachten Friends-with-benefits-Beziehung wird bald mehr und sie müssen sich der Frage stellen, ob eine Liebesbeziehung mit diesem Altersunterschied eine Chance haben kann.
Die Autorin betreibt keine Schönfärberei, sondern zeichnet ihre Figuren und deren Alltagsprobleme sehr realistisch und überzeugend. Mosaikartig werden dem Leser die kleinen Momente beschrieben, in denen sich die beiden Männer näher kommen, diese Nähe intensiv erleben, aber auch wieder auseinanderdriften, weil einiges zwischen ihnen steht, das noch der Klärung bedarf. Jede dieser Episoden wirkt perfekt ausgewählt, um das breite Spektrum an Emotionen, Ängsten, Sorgen und Problemen zu umfassen, die auf dem langen Weg zueinander zu bewältigen sind.
Der Roman ist so konzipiert, dass dem Leser schnell klar wird, dass die Liebe zwischen den beiden Protagonisten nur durch die gesellschaftliche Bewertung (bzw. Abwertung) als eine ungewöhnliche und deshalb mit Argwohn zu betrachtende Liebe stigmatisiert wird. Eigentlich hat das, was sich zwischen dem Endvierziger Christoph und dem 22-jährigen Phillip entwickelt, die gleiche Intensität und Glück verheißende Macht und damit auch die gleiche Berechtigung wie jede andere Liebe zwischen zwei erwachsenen Menschen. Diese Botschaft des Romans spiegelt sich noch einmal in der Nebenhandlung über die aufkeimenden Gefühle zwischen Phillips Freundin Anna, die Frauen liebt, und der Transfrau Eva, die eigentlich Männer liebt. Dem gemeinsamen Glück der beiden Figurenpaare steht vor allem die Schere im eigenen Kopf im Weg, die aufgrund der internalisierten gesellschaftlichen Sichtweise die eigenen Gefühle zensiert oder blockiert.
„Nur eine Frage der Liebe“ ist keine rosarote Romanze, auch wenn sie durchaus hoffnungsvoll endet. Vielmehr gelingt es der Autorin, zwei Protagonisten zu zeichnen, die sowohl in ihrer Liebe zueinander als auch im Hinblick auf die Gestaltung ihres Alltags glaubhaft und erfrischend unspektakulär wirken. Passend zu dieser Art der Figurenzeichnung ist auch der fast nüchterne Erzählstil. Dieser hebt sich von vielen anderen Texten dieses Genres vor allem dadurch positiv ab, dass der Blick auf die kleinen, teilweise auch unscheinbaren Dinge des Alltagslebens gerichtet wird, die aber gerade dadurch, dass sie ins Zentrum des Erzählens gerückt werden, eine neue Bedeutungsdimension erschließen. So werden beispielsweise ein Spaziergang im Park, ein Fotomotiv oder das gemeinsame Essen zu einem Spiegel der Menschen und ihrer Beziehung zueinander, mitunter auch einfach zu einem Spiegel des Lebens allgemein.
Dieser dritte Roman aus dem kleinen Kosmos, der mit „Benjamins Gärten“ seinen Anfang fand, beschenkt den Leser mit lebensechten Figuren, ungewöhnlichen Konstellationen, sorgfältig entwickelten Handlungssträngen und inspirierenden Gedanken über die Liebe.