Cover des Buches Die jungen Leute (ISBN: 9783492056984)
Gruenentes avatar
Rezension zu Die jungen Leute von J. D. Salinger

Was neues von Salinger? Wie geht das denn?

von Gruenente vor 9 Jahren

Kurzmeinung: Salinger steigert sich von Geschichte zu Geschichte!

Rezension

Gruenentes avatar
Gruenentevor 9 Jahren
Ja: es gibt ein Buch mit Geschichten von ihm. Sie sind neu, weil sie erstmalig auf Deutsch veröffentlicht wurden.Die jungen Leute“ beschreibt eine Party. Eine Party von jungen Menschen, zumeist Studenten. Gastgeberin ist Lucille Henderson. Sie versucht, nachdem „die Party ordentlich in Fahrt gekommen war“ auch die Außenseiterin Edna einzubinden und stellt ihr William Jameson junior vor. Die beiden führen eine verkrampfte Unterhaltung auf dem Balkon, Bill reagiert auf Ednas Annäherungsversuche nicht und will einfach nur zurück in den Raum um weiter mit einigen anderen jungen Männern den Star des Abends „die kleine Blonde“ zu hofieren.

Kommt mir alle sehr bekannt vor: ein Party, eine Außenseiterin, eine hübsche, hinter der alle Jungs her sind. Oberflächliche Gespräche, Alkohol, Zigaretten, laute Musik. Wie heute auch. 8pardon, zumindest wie damals, als ich noch zu den jungen Leuten gehörte…). Das Setting dieser Geschichte ist somit irgendwie zeitlos. Interessant ist die im Gespräch verwendete Sprache, kurze, oft nur halbe Sätze, ein wenig zeitgemäßer (damalige Zeit) Slang aber alles noch jungen Leuten aus gutem Hause angemessen. Die Dialoge sind lebendig, die Beschreibungen bildhaft. Kopfkino läuft.

„Geh zu Eddie“. Hier wurde der wohl am häufigsten in der Geschichte vorkommende Satz als Titel gewählt. Anders als in der ersten Geschichte war mir anfangs nicht so ganz klar, wie die beiden Protagonisten zueinander stehen. Da ist zum einen die schöne Helen, die in einem wohl ausgestatteten Zimmer mit Bad ihrer Körperpflege nachgeht, als das Hausmädchen den Besuch von „Mr Bobby“ meldet. Helen zieht sich „ihren königsblauen Morgenmantel so zurecht, dass er ihre langen nackten Beine bedeckte“ und lässt bitten. Wer ist Helen? Eine reiche, verwöhnte Frau? Eine Prostituierte? Und wer ist Bobby? Das klärt sich im Laufe des Gesprächs: Bobby ist Helens Bruder, er versucht die Schauspielerin dazu zu bringen einen Job anzunehmen. Diesen würde eben dieser Eddie bieten. Doch Bobby Einflussmöglichkeiten auf seine Schwester sind gering. In dieser Geschichte steht für mich die bildhafte Beschreibung des Raumes und der beiden Geschwister im Vordergrund: „Die Sonne, die nun auf beiden lag, sättigte ihre milchige Haut, bei Bobby dagegen offenbarte sie lediglich dessen Schuppen und die Säcke unter seinen Augen.“. Die Atmosphäre eines verschwenderisch, sehr weiblichen Boudoirs wird heraufbeschworen. Das steht mir alles klar vor Augen. Verschwommen ist für mich aber auch nach dem Gespräch der beiden das tatsächliche Verhältnis. Ist da etwas mehr, als es sich für Geschwister gehört? Lebt Bobby von den Gagen seiner Schwester? Weiß er, dass sie ihn belügt? Auf mich wirkt gerade diese Geschichte wie ein Romanfragment. Ich wüsste zu gerne mehr!

Das Meisterstück dieser Geschichtensammlung ist für mich

„Einmal die Woche bringt dich schon nicht um“

März 1944. Ein junger Mann, wohlhabend, verheiratet, aus gutem Haus packt einen Koffer. Er zieht in den Krieg. Seine junge, naive Frau hat den Ernst der Zeit wohl nicht ganz begriffen. Der Krieg ist halt nicht in Amerika nagekommen. Sie gibt ihm gut gemeinte Ratschläge: „Die Kavallerie ist reizend… Ich finde diese kleinen Schwertdinger so hinreißend, die die da am Kragen haben.“

Ehe währt noch nicht sehr lange: „seit drei Jahren ging das nun, und immerzu hatte sie mit ihm im Kursiven gesprochen.“

Die junge, verwöhnte Virginia sorgt sich nicht um ihren Mann. Eher darum, dass er hoffentlich nach England kommt und ihr schöne Stoffe, z.B. Tweed mitbringt. Er sorgt sich nicht um seine Frau, sondern um seine Tante. Er versucht Virginia dazu zu bringen die alte Dame einmal pro Woche ins Kino auszuführen. Das würde sie nicht umbringen, wie er mehrmals wiederholt. Er weiß, das Virginia dazu keine Lust hat, denn „sie ist so plemplem“. Die Tante, nicht Virginia. Im zweiten Teil der Kurzgeschichte besucht er seine Tante in ihrem schönen Zimmer im oberen Stockwerk. Sie wirkt liebenswürdig, leicht schrullig und gar nicht „plemplem“. Er will sich auch von ihr verabschieden. Sie ist im wichtig. „Er hatte gewollt, dass sie die eine Frau im Jahr 1944 war, die von keinem die Sanduhr im Blick behalten sollte. Jetzt wusste er, dass er ihr seine eigene geben musste.“ Im Angesicht seiner Tante erlaubt er sich an seinen bevorstehenden Kriegseinsatz und seine möglichen Konsequenzen zu denken. Bei seiner oberflächlichen Frau war das nicht möglich. Sie führen ein liebevolles Gespräch über die Vergangenheit. Erst am Ende geht dem Leser auf, dass die Tante in dieser vergangene Zeit Zeit lebt. Sie lebt in der Zeit, als ihre Sammelalben, mit denen sie den Tag verbringt, entstanden sind. Er schafft es nicht zu ihr durch zu dringen, ihr zu sagen dass er auch in den Krieg zieht. Denn sie wartet immer noch auf die Heimkehr desjenigen den sie ziehen ließ. Ebenfalls in den Krieg. Aber in einen, der schon Geschichte ist.

Diese letzte Geschichte ist meisterhaft. Tolle Dialoge, sehr gute Beschreibung des Umfeldes. Der Leser weiß direkt wen er vor sich hat, wie die Protagonisten leben, was ihnen wichtig ist. Wie die Beziehungen zwischen ihnen aussehen. Ich habe diese Zimmer vor Augen, die Handelnden, die Atmosphäre. Und obwohl es eine kurze Erzählung ist, wirkt sie rund, alles ist gesagt.

Ergänzt werden die drei Erzählungen von einem Nachwort von Thomas Glavinich, der das Phänomen Salinger in verschiedenen Facetten zu ergründen versucht.


Hier ausführlicher:
http://leckerekekse.de/wordpress/die-jungen-leute/
Angehängte Bücher und Autor*innen einblenden (2)

Was ist LovelyBooks?

Über Bücher redet man gerne, empfiehlt sie seinen Freund*innen und Bekannten oder kritisiert sie, wenn sie einem nicht gefallen haben. LovelyBooks ist der Ort im Internet, an dem all das möglich ist - die Heimat für Buchliebhaber*innen und Lesebegeisterte. Schön, dass du hier bist!

Mehr Infos

Hol dir mehr von LovelyBooks