Rezension zu "From Renaissance Monarchy to Absolute Monarchy: French Kings, Nobles, & Estates: French Kings, Nobles, and Estates" von J. Russell Major
Andreas_OberenderIm letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts zählte Russell Major (1921-1998) zu den führenden Frankreich-Experten innerhalb der US-amerikanischen Historikerzunft. Mehr als 25 Jahre sind inzwischen seit seinem Tod vergangen. Majors Name verblasst allmählich, und sein wissenschaftliches Werk droht in Vergessenheit zu geraten. Das ist der natürliche Lauf der Dinge. Mit seinem letzten Buch, From Renaissance Monarchy to Absolute Monarchy, erschienen 1994, zog Major die Bilanz seiner jahrzehntelangen Forschungen zur Geschichte Frankreichs in der Frühen Neuzeit. Der dreißigste Jahrestag der Veröffentlichung bietet eine willkommene Gelegenheit, das Buch noch einmal zu lesen und zu würdigen. Zumindest für all jene Historiker, die sich vertiefend mit der französischen Geschichte vom 15. bis zum 17. Jahrhundert beschäftigen, ist das Buch auch heute noch Pflichtlektüre. Majors Arbeiten kreisten schwerpunktmäßig um die politische Rolle des Königtums, Repräsentativversammlungen (Generalstände; Provinzialstände) und den französischen Adel. Seine Bücher und Aufsätze, die allesamt auf intensiven Archivrecherchen fußen, haben der Forschung zur politischen Geschichte Frankreichs unter den Valois- und Bourbonenkönigen wichtige Impulse gegeben. Wenn es in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer Revision traditioneller Lehrmeinungen kam, so hatte Russell Major daran einen bedeutenden Anteil.
In seinem Buch bündelt und verdichtet Major die Ergebnisse seiner eigenen Forschungen, und zugleich verarbeitet er die Studien, die seine Schülerinnen und Schüler bis Anfang der 1990er Jahre vorgelegt haben. Er schlägt einen Bogen vom Spätmittelalter bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts, von Karl VII. (1403-1461) bis zu Ludwig XIV. (1638-1715). Major untersucht das Dreiecksverhältnis zwischen den französischen Monarchen, den Ständeversammlungen auf nationaler und regionaler Ebene und der Aristokratie. Dabei nimmt er sowohl den alten Adel oder Schwertadel (noblesse d’épée) als auch den sogenannten Amtsadel (noblesse de robe) in den Blick. Eingangs skizziert er den Forschungskonsens, der um 1950 inner- und außerhalb Frankreichs bestand. Seit dem 19. Jahrhundert waren sich Historiker darin einig, dass die französischen Könige in Zusammenarbeit mit dem Bürgertum die absolute Monarchie errichtet hätten, ein politisches System, das auf Zentralisierung und Vereinheitlichung beruhte. Mehr noch als das Königtum sei das Bürgertum der Träger des historischen Fortschritts gewesen. Der Adel habe im 16. und erst recht im 17. Jahrhundert einen schleichenden ökonomischen Niedergang erlebt und seine privilegierte politische und soziale Stellung eingebüßt. In den zwölf Kapiteln, die auf die Einleitung folgen, präsentiert Major seinen Gegenentwurf zu diesem angestammten Geschichtsbild.
Die politischen Strukturen, die unter Karl VII. in der Späthphase des Hundertjährigen Krieges entstanden, bezeichnet Major als Renaissance-Monarchie. Kennzeichnend für dieses System, das bis in die Zeit der Religionskriege (1562-1598) überdauerte, war ein hohes Maß an Dezentralisierung. Weder im Steuer- noch im Rechtswesen kam es zu einer Vereinheitlichung. In Verwaltungs-, Finanz- und Rechtsfragen war Frankreich ein verwirrend bunter Flickenteppich. Regionale und lokale Rechtstraditionen blieben unangetastet. Armee und Verwaltungsapparat waren viel zu klein, als dass die Monarchen autoritär hätten „durchregieren“ können. An der Kooperation mit Ständeversammlungen, sei es auf nationaler, sei es auf regionaler Ebene, führte kein Weg vorbei. Große Provinzen an der Peripherie des Königreiches, die sogenannten pays d’états (Bretagne, Burgund, Dauphiné, Languedoc, Provence) besaßen selbstbewusste Ständevertretungen, die der Krone bei Verhandlungen über die Höhe der Steuern Paroli zu bieten vermochten. In Krisenzeiten berieten die Generalstände über die Lösung akuter Probleme von nationaler Tragweite. Major korrigiert zwei Fehlannahmen der älteren Forschung: Der im 16. Jahrhundert entstehende Amtsadel (z.B. Richter, Amtsträger in Verwaltung und Steuerwesen) gehörte nicht zum Bürgertum. Er genoss die gleichen Privilegien wie der alte Adel oder Schwertadel. Dieser wiederum erlebte keinen unaufhaltsamen Niedergang. Im Gegenteil, er konnte seinen politischen Einfluss, sozialen Status und Besitzstand verteidigen. Er blieb eine unverzichtbare Stütze königlicher Herrschaft. Die Monarchen nutzen die Klientelnetzwerke, die der Hochadel in den Provinzen besaß, zur vertikalen Integration des Königreiches. Es bestand aber auch die Gefahr, dass ehrgeizige Aristokraten ihr Gefolge gegen den Herrscher mobilisierten.
Der Zeitraum vom Regierungsantritt Heinrichs IV. (1589) bis zu den 1670er Jahren nimmt in der Darstellung den meisten Raum ein. Sieben der zwölf Kapitel entfallen auf diese Phase, in der sich der langsame Übergang zur absoluten Monarchie vollzog. Die Macht der Krone war in den Religionskriegen erodiert. Wie ließ sie sich wiederherstellen und stärken? Zwei Gruppen standen sich an der Staatsspitze gegenüber: Auf der einen Seite die Pragmatiker (Heinrich IV., Kardinal Richelieu, Ludwig XIV.), die das angestammte System lediglich punktuell optimieren, aber nicht grundlegend umgestalten wollten. Auf der anderen Seite die Verfechter von Zentralisierung und Uniformität, Minister wie Sully, Marillac und Colbert, die die Steuererhebung landesweit vereinheitlichen wollten und zu diesem Zweck auf die Abschaffung der Ständeversammlungen in den pays d’états hinarbeiteten. Am Ende setzten sich die Pragmatiker durch. Die Ständeversammlungen blieben bestehen, wurden aber von Ludwig XIV. ihrer Befugnisse beraubt. Das aus Sicht der Krone lästige Feilschen über die Höhe der Steuern hörte auf. Ab Mitte der 1670er Jahre bewilligten die Stände anstandslos die von der Regierung geforderten Summen. Major nennt zwei weitere Wesenszüge der absoluten Monarchie: Amts- und Schwertadel besaßen keinen politischen Einfluss, erhielten aber als Lohn für ihre loyalen Dienste am Hof, in der Verwaltung und in der Armee umfangreiche Privilegien. Der Adel – nicht das Bürgertum – gab in der Gesellschaft den Ton an. Und der König stellte sich an die Spitze des Patronagesystems. Er allein kontrollierte fortan die personalen Beziehungen, die das Land zusammenhielten; er allein vergab wichtige Ämter und Posten. Für mächtige Prinzipalminister wie Kardinal Richelieu und unbotmäßige Provinzmagnaten gab es in der absoluten Monarchie keinen Platz mehr.
Major modifiziert das herkömmliche Absolutismus-Modell: Zwar besaß Ludwig XIV. als alleiniger Gesetzgeber die legislative Souveränität. Das politische System und die Verwaltungsstrukturen mit ihrer historisch gewachsenen Behäbigkeit ermöglichten aber kein straffes „Durchregieren“, von dem die ältere Forschung gern fabulierte. Eine Vereinheitlichung des Rechts erfolgte nicht. Majors Buch ist all jenen Historikern ans Herz zu legen, die mit der Herrschaft Ludwigs XIV. irrigerweise die Anfänge moderner Staatlichkeit assoziieren. Die Angehörigen des Amtsadels besaßen ihre Ämter als erbliches Eigentum. Sie können nicht mit heutigen Verwaltungsbeamten gleichgesetzt werden. Frankreich blieb unter dem Sonnenkönig ein vormodernes Land. Das ist die wichtigste Erkenntnis, mit der Russell Major die Leser seines Buches belohnt. Der Wert des Buches erschließt sich nicht gleich bei der ersten Lektüre. Es handelt sich um ein anspruchsvolles Werk, das für Studierende und Nichtfachleute kaum geeignet ist. Major setzt beim Leser viel Vorwissen voraus. Die Vermittlung von Informationen zum historischen Geschehen ist hier und da zu knapp geraten. Steuer- und Finanzfragen, eine trockene und spröde Materie, werden an manchen Stellen zu ausführlich behandelt. Ein großes Manko ist der Verzicht auf ein Glossar. Major arbeitet mit vielen französischen Termini des 15. bis 17. Jahrhunderts, die nur Fachleuten geläufig sind. Ungeachtet dieser Kritikpunkte kann Russell Majors Buch auch heute noch, 30 Jahre nach seiner Veröffentlichung, als bedeutendes Werk gelten. Es gehört in die Büchersammlung eines jeden Frankreich-Enthusiasten.