Cover des Buches Das zufällige Leben der Azalea Lewis (ISBN: 9783785583326)
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Rezension zu Das zufällige Leben der Azalea Lewis von J. W. Ironmonger

"... diese ganze Diskussion ist größtenteils irrelevant..."

von Dr_M vor 9 Jahren

Rezension

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Dr_Mvor 9 Jahren
Diese Bemerkung geht auf den Philosophen John Locke zurück. Sie wird vomAutor jedoch erst im vorletzten Absatz seines Buches aufgegriffen. Natürlich ist das keineswegs ein Zufall, denn wäre sie bereits am Anfang der Geschichte ins Spiel gekommen, hätte sie wohl eine zerstörende Wirkung entfaltet. Wenn es um die Rolle von Zufall oder Vorbestimmung in einer Lebensgeschichte geht, mögen die Ansichten darüber geteilt sein, ähnlich wie bei der Frage, ob es einen Gott gibt oder nicht. Ein bedeutender Lehrsatz der Mathematischen Logik sagt, dass wir diese Fragen niemals endgültig beantworten können werden.


Aber verlockend bleiben sie natürlich für viele Menschen trotzdem. Und weil das so ist, benutzt sie der Autor, um seine eher durchschnittliche Geschichte, die eigentlich im Bürgerkrieg Ugandas angesiedelt ist, interessanter zu machen. Azalea Lewis verliert auf sonderbare Weise ihre Mutter an einem Mittsommertag in England. Ihr vermutlicher Vater, den sie nie kennenlernte, kam an einem solchen Tag um, ebenso ihre Adoptiveltern. Azalea leitet daraus eine Zwangsläufigkeit ab: Bald wird auch ihr Ende an diesem verfluchten Tag kommen. Ob das tatsächlich geschehen wird, kann hier nichtverraten werden.



Azalea lebt abwechselnd in England und Uganda. In Afrika unterhielten ihre Adoptiveltern eine Missionsstaion und ermöglichten Waisenkindern ein geregeltes Leben. Doch in Uganda herrscht ein brutaler Bürgerkrieg, der auch vor christlichen Missionsheimen nicht haltmacht. Diese Geschichten zu erzählen, war wohl der ursprüngliche Gedanke des Autors. Das Interesse in Europa an solchen Kriegen und den Schicksalen der Menschen hält sich jedoch in engen Grenzen. In den Rahmen einer scheinbar philosophischen Frage gepresst, tritt das eigentliche Geschehen erst einmal in den Hintergrund. Der Leser wird mit einem Problem gelockt, was in Wirklichkeit keines ist, weil man es niemals lösen, aber ewig diskutieren kann. Eine vortreffliche Situation für einen Autor, die Ironmonger nicht ungenutzt lassen kann.



Als das Schicksal Azalea wieder einmal nach England führt, trifft sie dort ganz zufällig einen Universitätsexperten, der sich trefflich
mit dem Zufall auszukennen scheint. Er soll ihr fast schon
psychotherapeutisch aus der selbst gestellten Mittsommertagsfalle helfen. Das versucht er auch recht motiviert, weil sich dabei sein Herz für Azalea öffnet. Für einen mit Zufallsfragen nicht ganz vertrauten Leser mag das, was dann folgt, vielleicht spannend klingen. Tatsächlich offenbart Ironmonger nun jedoch sein eigenes Unverständnis. Was sein Experte da alles berechnen können will, lässt sich in Wirklichkeit so gar nicht durchführen. Und wenn doch, dann nur unter Voraussetzungen, die völlig lebensfremd sind, aber gerne hinterher vergessen werden.



Obendrein wird die Sache auch noch dadurch erschwert, dass eine solche Berechnung überhaupt keinen Nutzen für Azalea besitzt. Ohne hier eine Vorlesung über Wahrscheinlichkeitstheorie halten zu wollen, sei daran erinnert, dass ein Sechser im Lotto eine Wahrscheinlichkeit besitzt, die eigentlich Null ist. Dennoch gibt es jedes Jahr viele glückliche Lottomillionäre. Und wenn die statistische Lebenserwartung achtzig Jahre beträgt, dann ist das eine Mittlung aus einem Datensatz der Vergangenheit. Leider weiß dann der einzelne immer noch nicht auf welcher Seite der zukünftigen Daten er stehen wird. Das bedeutet, selbst wenn man eine Wahrscheinlichkeit ausrechnen könnte, sagt sie überhaupt nichts über ein Einzelschicksal aus. Noch ein Grund mehr für die Irrelevanz der ganzen Diskussion.



Unabhängig von diesem Tatbestand erzählt Ironmonger seinen Lesern eine Geschichte aus dem ugandischen Bürgerkrieg. Das macht er trotz gelegentlicher Längen recht gut. Die Idee, seine Geschichte mit der Frage nach einer eventuellen Vorbestimmung von Leben zu befördern, ist brillant, wenngleich sie keinerlei wirkliche Bedeutung besitzt, die Story aber spannender macht als sie eigentlich ist.



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