Worum geht es?
Die Britin Claire befindet sich in New York, um Schauspielunterricht zu nehmen, hat aber keine Arbeitserlaubnis. Also verdient sie sich ihr Geld so halblegal. Sie testet Ehemänner auf Treue. Patrick Fogler besteht den Test, doch am nächsten Morgen ist seine Ehefrau tot. Claire erhält ein gefährliches Angebot, mit dem sie aber auf einen Schlag alle ihre finanziellen Probleme los wäre. Sie nimmt an.
Kritik
Delaney Debütthriller war „The Girl Before”, der von vielen total gefeiert wurde – von vielen außer von mir. Ich fand ihn so lalala, paar Sachen extrem nervig, was aber auch daran lag, dass mich die angesprochenen Themen wenig interessiert hatten und ich den Protagonistinnen gegenüber gleichgültig blieb.
Claire ist anders. Ich finde es ziemlich mutig von Delaney, eine weibliche Protagonistin zu schaffen, die eine Cluster-B-Persönlichkeitsstörung hat. Und das macht er absolut überzeugend. Claire ist impulsiv, labil, launisch, unfähig, Gefühle zu unterdrücken, gleichzeitig aber extrem manipulativ. Kein Wunder, dass sie so eine exzellente Schauspielerin ist. So oft macht sie etwas, bei dem ich beim Lesen „Oh, nein, bitte nicht“, dachte. Sie ist eine Antiheldin. So erfrischend schön anders, als die typischen leidenden und „guten“ Protagonistinnen der Psychothriller aus dieser Kategorie (trotz des Settings würde ich ihn noch als Domestic einordnen).
Der Roman ist clever erzählt. Alles, was irgendwie beim Lesen für einen Moment keinen Sinn machte, gehört zu den Rollen, gehört zu den Charakteren dazu. Das ist bis ins kleinste Detail „Show don’t tell“. Ungewöhnlich ist es, dass Delaney immer mal wechselt und Passagen in Drehbuchform schreibt. Achtung bei der Interpretation dieser Passagen. Der Autor weiß genau, was er tut. Die Grenzen zwischen der Realität, den Rollen, welche die Personen spielen und der Handlung, die im letzten Viertel des Romans auf die Bühne gebracht wird, verschwimmen völlig. Manchmal kann man etwas schon ein bisschen ahnen, gerade, wenn man Claire besser versteht, manches ist auch vollkommen ungewöhnlich und unerwartet.
Der Roman bietet interessante Themen und ein ungewöhnliches Setting. Seitdem Patrick Fogler Claire bei ihrer ersten Begegnung ein Buch überlässt, es handelt sich um die berühmt-berüchtigten Les Fleurs du Mal (Blumen des Bösen), geht es um Baudelaire. Es gibt aber keine langen Lektionen (auch wenn sehr viel zitiert wird), sondern Die Blumen des Bösen werden in diesem Roman lebendig. Insgesamt ist er sprachlich auch sehr schön, sehr elegante Prosa, ohne unnötig kompliziert zu schreiben. Auch die Welt des Schauspiels und der Unterricht (Stanislawski-Methode) werden unglaublich überzeugend dargestellt.
Der Roman ist sehr temporeich, ständig passiert irgendwas, womit man nicht rechnet. Das Ende/ der Showdown ist phänomenal. Wäre ich im Theater (und ein bisschen ist es so) würde ich applaudieren! Der letzte Satz (den ich hier leider nicht zitieren kann) ist einer der schönsten, die ich je in einem Thriller gelesen habe.
Zusammenfassend:
Ich mag es ja, wenn diese Art von Thriller vom Alltagsgeschehen abweicht und nicht einfach nur Familienleben zeigt. Wer ein realistisches und bodenständiges Setting erwartet, könnte unglücklich werden. Genauso diejenigen, die realistische Polizeiarbeit mögen. Das bietet dieser Roman keine Sekunde.
Wer sich auf ungewöhnliche Settings und Protagonisten einlassen möchte, die Welt der Dichtung und des Schauspiels mag, dem könnte der Roman gefallen.