Die schwedischen Krimis sind schon hinlänglich bekannt und höchst erfolgreich, die finnischen, bis auf einzelne Ausnahmen, derzeit noch deutlich weniger. Hier hat sich der Schweizer Antium Verlag des Romans «Die Ertrunkenen» von Jaakko Melentjeff angenommen. Der Roman spielt aber nicht nur in Finnland, sondern unter anderem auch in Schweden, Island und Tschechien. An verschiedenen Orten in verschiedenen Ländern werden Leichen von Ertrunkenen aufgefunden, die merkwürdigerweise die Papiere anderer Personen auf sich tragen. Da die Funde offenbar zusammenhängen, tritt die NORDSA in Aktion, eine (fiktive) staatenübergreifend operierende Polizeieinheit in Nordeuropa. Verschiedene Ermittler in den einzelnen Ländern werden aktiv, Paula Korhonen in Finnland, Annmari Akselsson mit ihren Kollegen in Schweden und Magnus Thor in Island, koordiniert durch Kalle Nordin bei der NORDSA. Melentjeff interessiert sich dabei nicht nur für den Kriminalfall als solchen, sondern auch für die persönlichen Hintergründe und Erlebnisse der Ermittler, was dazu führt, dass alles manchmal etwas viel wird.
Zu allem kommt nun noch die Geschichte der afghanischen Zwillinge Farah und Haris hinzu, die bruchstückhaft preisgegeben wird: sie haben zuletzt in Finnland gelebt, befinden sich jetzt aber in Prag, wo sie eine Mission auszuführen haben. Sie suchen einen ominösen «Dreifingrigen». Erst ganz am Ende des Buches wird aufgelöst, wie Haris’ und Farahs Mission mit dem Kriminalfall der Ertrunkenen zusammenhängt.
Die Geschichten der einzelnen Ermittler sind durchaus interessant und zeigen auf, dass jeder von uns irgendwo sein Päckchen zu tragen hat und unser Verhalten, das manchmal vielleicht merkwürdig und schwer nachvollziehbar scheint, davon beeinflusst ist. Die Entscheidung für weibliche Ermittlerfiguren (noch dazu einer jungen, unabhängigen Frau wie Annmari Akselsson) erinnert an einen Stieg Larsson, wobei aber Annmari Akselsson kein reines Abziehbild von Larssons Lisbeth Salander ist, durchaus eigene Wesenszüge besitzt. Eine andere rätselhafte Nebengeschichte, die aber im Roman bis zuletzt nicht aufgelöst wird, ist noch die spezielle Beziehung des Teamleiters Holmström zu Annmari respektive zu deren verstorbener Mutter, die ebenfalls Polizistin war. Man kann als Leser nur mutmassen.
Die skandinavische Mentalität kommt in zahlreichen Episoden und Situationen sehr gut zum Ausdruck, nicht nur im verbreiteten «Du». Dieses «Du» hat der Übersetzer belassen, auch an Stellen, wo es den deutschsprachigen Leser eher merkwürdig anmutet: Olavi Jääskeläinen, Beamter von der internen Untersuchungsstelle der Polizei, kommt vorbei, um Paula Korhonen zu ihrer missbräuchlichen (privaten) Nutzung des Strafregisters zu befragen, und natürlich duzt er sie, obwohl sie sich zuvor offenbar nicht gekannt haben: «Ich hoffe, dass du eine gute Erklärung dafür hast.» Oder der afghanisch-schwedische Konzernchef Kharoon Asefi, der von Annmari Akselsson und Kalle Nordin befragt wird und diese zwar anfänglich siezt, dann aber sogleich geduzt werden will.
Migration – auch dies ein Teil der skandinavischen Realität – spielt auf verschiedenen Ebenen auch eine wichtige Rolle. So treffen wir die rumänische Bettlerin vor der Markthalle in Turku, der Paula Korhonen regelmässig Geld gibt, aber auch die erwähnten afghanischen Zwillinge Farah und Haris sowie den erwähnten Kharoon Asefi und den Syrer Malek Ayman, Chef zweier Textilfirmen ebenfalls in Schweden.
Alles in allem eine spannende und durchaus unterhaltsame Lektüre, die jedoch einige Längen aufweist. Vielleicht gelingt Melentjeff bei einem allfälligen Nachfolgeroman eine stärkere Konzentration auf das Wesentliche. Es wäre ihm zu wünschen, denn das Erzählertalent und die Ideen besitzt er auf jeden Fall.