Whistler war Maler und ein Wegbereiter des Impressionismus, vielleicht so etwas wie der amerikanische Monet (sie hatten denselben Lehrer). Whistlers stimmungsvolle, ätherische Stadtansichten brachten die Malerei Ende des 19. Jahrhunderts in klaren Konflikt mit dem zeitgenössischen Kunstgeschmack. Das machte es für Whistler gelegentlich schwer, doch er bewahrte sich seine exzentrische Persönlichkeit ebenso wie den Lebensstil eines Bohémian.
In seinem berühmten „Zehn-Uhr-Vortrag“ in London im Jahre 1885 äußerte sich Whistler mit beißendem Spott und offener Arroganz gegenüber seinem Publikum. Völlig naiv seien die lästigen Fragen, was „uns der Künstler damit sagen wolle“ oder gar was der Nutzen eines Bildes sei. Und ebenso verfehlt sei die Forderung, der Künstler hätte die Natur nachzuahmen! Da sei der Kunst noch mehr geholfen, wenn die gebildeten Banausen sich überhaupt nicht mit dem Schönen befassen würden. Aus einer kurzen Geschichte der Entstehung der Kunst entwickelt Whistler dann ein eigenes Bild der richtigen Einstellung zur Kunst. Welche Frechheit! Welche Frische des Gedankens!
Der Vortrag blieb in der englischen Debattenkultur nicht ohne prominente Erwiderung. Oscar Wilde selbst war anwesend und würdigte Whistler mit einer ebenso hochachtungsvollen wie streitbaren Kritik: „...vor allem die Kritiker sollten dankbar sein, dass Whistler sie von der Notwendigkeit einer langweiligen Existenz befreite.“ Und auch der damals berühmt-berüchtigte Schriftsteller und Journalist Gilbert Chesterton analysierte Whistlers Position, nicht ohne sie deutlich in ihre Schranken zu weisen.
Dieses schmale, dünne Bändchen, kaum mehr als 60 Seiten Text, sprüht vor Gedanken und intellektueller Angriffslust. Ein Vergnügen für Jeden, der sich an scharfsinnigen Schimpftiraden zu ergötzen vermag. Zudem bietet es ein vielschichtiges Panorama ästhetischer Positionen Ende des 19. Jahrhunderts.
Außerdem leuchtet hier ein tieferes Thema hervor – nämlich das Verhältnis von Künstlern und Bürgertum in einer Gesellschaft am Vorabend des 20. Jahrhunderts. Haben Künstler etwas beizutragen? Oder sind alle Ansprüche an Wechselwirkungen zwischen Kunst und Leben nichts als pseudo-religiöse Phantasien?
Insofern liest sich dieses Dokument der anbrechenden künstlerischen Moderne wie ein Vorschein auf die späteren Debatten um die gesellschaftliche Rolle der künstlerischen Avantgarde.
Fazit: Anregende Lektüre für zwischendurch, aber nicht für jeden. Wer Klassiker liebt, vielleicht Wildes „Das Bildnis des Dorian Gray“ genossen hat, wer gerne Diskussionen verfolgt oder ein Faible für Kunstgeschichte oder die englische Kultur hat, der wird in diesem Bändchen eine lohnende Lektüre finden.
Allerdings ist diese Ausgabe nicht identisch mit dem ganzen Band, sondern stellt eine Auswahl unter ins Deutsche übersetzten Titel dar.
Streit um die Kunst unter Gleichgesinnten