James Carlos Blake - PISTOLERO - liebeskind - 430 Seiten - Übersetzt von Peter Torberg
Ich hatte einen Roman erwartet - was ich bekommen habe, ging darüber hinaus.
John Wesley Hardin, ein Revolverheld, ein Gunfighter, ein Pistolero - Gesetzloser oder Opfer der Gesetze in Texas nach dem Bürgerkrieg?
Der Bürgerkrieg ist vorbei und die Union schickt ihre Soldaten (die Blaubäuche) aus, um im Süden insbesondere auch in Texas für Recht und Ordnung zu sorgen. Was das bedeutet wurde schon vielen Kriegsverlierern klar. Die Sieger plündern und demütigen die Verlierer - ob zu Recht oder Unrecht sei dahingestellt. Eine besondere Brisanz zeigt sich, wenn nicht alle Verlierer sich als Verlierer sehen und nach wie vor von ihrem Standpunkt überzeugt sind - und in Texas verteidigt man seinen Standpunkt, sein Land, seine Familie mit der Waffe. Es sind dunkle Tage in der Geschichte der jungen Union und des Staates Texas.
In diesen Tagen wächst John „Wes“ Hardin auf. Er wird mit 15 Jahren erstmals zum Mörder, wobei er sich - wie später auch - auf Notwehr beruft.
Er wird im Laufe seines Lebens - in welchem er zum gefährlichsten Revolverhelden von ganz Texas wird - noch zahlreiche Menschen töten (27 bis 42); und bei seinem Standpunkt bleiben, immer in Notwehr gehandelt zu haben - immer nur zur Selbstverteidigung. Um diese auszuüben, schreckt er auch nicht vor Hinterhalten zurück, in die er seine Verfolger lockt. Diese sind zum einen die verhassten State Police und später auch Mitglieder von Bürgerwehren, Kopfgeldjäger, Vigilanten und Agenten der Pinkerton-Agentur.
Wes Hardin muss sich Zeit seines Lebens verstecken und versucht dabei ein normales Leben zu führen; so arbeitet er als Cowboy, Holzfäller und Saloonbesitzer - er heiratet seine große Liebe Jane und hat mit dieser drei Kinder (laut Wikipedia-Eintrag schenkt sie ihm nur zwei Kinder). Doch wird er immer wieder aufgespürt, tötet seine(n) Verfolger und muß - wieder mit mindestens einem Mord mehr - fliehen.
Schließlich wird er gefasst und wird - da das Gericht ihm tatsächlich nicht nachweisen kann, nicht aus Notwehr getötet zu haben - zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Im Gefängnis erfährt er erstmals eine Art der Ruhe und studiert Jura. Mithilfe eines Anwaltes erlangt er schließlich eine vorzeitige Entlassung wegen guter Führung und erwirkt eine Begnadigung durch den Gouverneur von Texas. Er erhält damit seine vollen Bürgerrecht zurück und läßt sich als Anwalt nieder. Nicht lange nach seiner Entlassung fällt er - aus Gründen, die ich hier nicht spoilern möchte - teilweise in seine alte Rolle zurück und wird schließlich von einem Polizisten hinterrücks erschossen.
Diese als Roman titulierte Biographie eines Killers ist vom Autor auf ganz besondere Weise aufgearbeitet. Er läßt die einzelnen Stationen von Hardins Leben von 49 verschiedenen Weggefährt(inn)en erzählen. Freunde, Familie, Cowboys, Richter, Huren, Verbrecher, Gesetzeshüter etc. Jeder erzählt die Umstände aus seiner Sicht. Dabei sind die Abschnitte mal anderthalb und mal 16 Seiten lang. Neben dem Leben von Hardin erfährt der Leser so auch etwas über die Lebens- und Zeitumstände, in der die Geschichte spielt. Hinzu - sehr gut eingestreut - werden Abschnitte aus der Autobiographie Hardins gezeigt.
Die Handlung ist historisch gesehen recht gut abgesichert, es handelt sich aber nicht um eine akribische Biographie, sondern vielmehr aus einer tollen Erzählung mit verschiedenen Perspektiven. Hardin und sein Leben sind dabei der Zentrale Handlungsmittelpunkt, doch werden dem Leser weitere „Wildwest-Größen“ präsentiert, wie zum Beispiel Wild Bill Hickok, John Riley Duncan u.a. Auch erfährt er geschichtliche Hintergründe, zum Beispiel in Bezug auf die „Gesetzeshüter“, die zumeist ebenfalls ursprüngliche Gesetzlose waren.
Bei den Schildernden sind Freunde und Familie sowie auch Fans von Hardin in der Überzahl, so dass man den Eindruck bekommen könnte, es handle sich hier um ein Werk der Glorifizierung eines Revolvermannes; der Autor schafft aber eine Ausgewogenheit zum einen dadurch, dass auch Gegner zu Wort kommen und vorallem dadurch, dass die Bewunderer oft mental eher einfach gestrickt sind und durchaus in einer Hilflosigkeit und mit einer klaren Überforderung ob der Geschehnisse erzählen. Oftmals schwingen zwischen den Zeilen Zweifel mit - in einigen Situationen hätte der Erzähler doch eher anders handeln mögen oder die Situation hätte sich anders entwickelt, wenn…
Die Gegener sprechen mit Respekt aber auch mit Abscheu oder auch recht sachlich-neutral von Hardin und den Umständen; hinzu kommen beispielsweise Richter, die beide Seiten beleuchten.
Letztlich ist es dem Leser selbst überlassen, sich ein Bild zu machen, von einem Mann, der geschickt mit der Waffe umging, sie aber auch skrupellos zum Einsatz brachte. So manch einer der in jagenden hat die Waffe gezogen und war der Schnelligkeit und Zielsicherheit von Hardin unterlegen - doch frage ich mich, ob Hardin beim Abdrücken sicher sein konnte, dass sein Gegener die Waffe nicht nur gezogen hatte, um eine Drohung auszusprechen. Man kennt den Standardspruch der Polizei: „Halt oder ich schieße!“ - reicht dies Aufforderung aus, selbst zu schießen? Handelt es sich dann um Selbstverteidigung.
Ich empfehle diese Buch jedem Western-Fan - einen herkömmlichen Roman erhält er nicht, jedoch eine spannende Geschichte mit Schießereien, Cowboys und Gesetzeshütern, die auch nachdenklich stimmt.
Einzig die zum Teil schon fast pornografischen Sex-Szenen haben mich etwas gestört - ich bin nicht prüde, hielt diese in der Form und Ausschmückung jedoch etwas fehl am Platz.
Von mir bekommt dieses Werk 4/5 Sternen und ich freue mich schon auf ein weiteres Buch des Autoren - „Das Böse im Blut“ liegt bereits auf meinem SuB