Es geschieht ja eher selten, dass Krimi-Couch Rezensent Jochen König und meine Wenigkeit verschiedene Geschmäcker haben - „Inspektor O“ von James Church ist aber so ein Fall. Egal, aus welchem Winkel ich das Gelesene auch betrachte, „ein meisterliches Debüt“, wie Kollege König, vermag ich nicht zu erkennen, was allerdings auch schlichtweg daran liegt, dass ich zu keinem Zeitpunkt einen Zugang zu dem Buch gefunden habe. Und das obwohl James Church, das Pseudonym eines ehemaligen Geheimdienstmannes und (angeblichen) Fernost-Kenners, durchaus schriftstellerisches Talent beweist und die Handlung, von vielen Geheimnissen umwölkt, besten Nährboden für einen spannenden Thriller geboten hätte. Nicht zuletzt auch wegen des Schauplatzes Nordkorea, mit dem sich bisher nur wenige Literaten der Neuzeit (und noch weniger Krimi-Autoren) befasst haben, und welchem, abgeschottet vom Rest der Welt, eine gewisse mysteriöse Aura anhaftet, die vielerlei Fragen aufwirft.
Was genau geht dort hinter der am schwersten bewachten Grenze der Welt eigentlich vor sich? Wie sieht das alltägliche Leben in einer kommunistischen Diktatur des 21. Jahrhunderts aus? Und wie genau dürfen wir aus dem Westen uns die dortige Polizeiarbeit vorstellen? Es sind Fragen, auf die ich mir als Leser vor Beginn der Lektüre Antworten erhofft habe, zumal der Hauptprotagonist und Titelgeber des Buches, Inspektor O, sogar einer real existenten Persönlichkeit nachempfunden sein soll und der Autor damit eine gewisse Authentizität suggeriert.
Antworten, sogar in äußerst detaillierter Art und Weise, liefert Church. Das Problem: Ich kauf es ihm nicht ab.
Das ganze Verhalten der Figuren, ihre Mentalität und ihre Sprache, die Arbeitsabläufe – all das lässt sich mit meinem Bild von Nordkorea, oder überhaupt von einem Land aus Fernost, nicht in Einklag bringen. Alles wirkt zu steril, zu konstruiert, ja, zu westlich, um glaubhaft zu sein. Wenn ich mir hier, wie ich es oft bei Romanen tue, die Charaktere im Geiste vorstelle, habe ich das Bild von Europäern vor Augen. Dem eigentlichen Nordkorea komme ich nicht näher, der Funke springt nicht über. Was bleibt ist ein grauer DDR-Hintergrund, der gedanklich herhalten muss, um die vom Autor beabsichtige Stimmung des Buches zu transportieren. Und mittels dieser bildlichen Eselsbrücke zündet dann auch die Geschichte besser, welche die von Angst und Misstrauen geprägte Atmosphäre eines kommunistischen Staates ansonsten äußerst eindringlich einfängt.
Wo jedoch andere Autoren (wie z.B. Tom Rob Smith in seinem Erstling „Kind 44“) diese Begleiterscheinungen des auf die Spitze getriebenen Sozialismus als Aufbauelement ihres Spannungsbogens nutzen, verkommt es bei „Inspektor O“ zu einer faden, gräulich-drögen Kulisse ohne Nutzwert. Der trockenen, gelangweilten Stimme des Inspektors, dessen lakonischer Humor noch zu den Highlights zählt und für ein paar Lacher gut ist, wird man über kurz oder lang ebenso überdrüssig, wie den statischen „Ermittlungen“, die sich in erster Linie auf Reisen quer durchs Land beschränken und welche die Krimihandlung kein Jota voranbringen. Church verfährt hier nach dem Babuschka-Puppen-System. Ein Geheimnis in noch einem Geheimnis hinter welchem sich noch ein Geheimnis verbirgt. Und ganz am Ende? Wer es bis hierhin geschafft hat, den erwartet ein Finale, das ebenso ruhig und unspektakulär abläuft, wie schon der Beginn des Romans. Ein bisschen fühlt es sich so an, als würde man, nach einer langen, ereignislosen Fahrt im Auto, auf einer schnurgeraden Straße, mitten im nirgendwo am Straßenrand abgesetzt.
Letztlich fehlt es „Inspector O“ an Tempo, an Zug, ja, an Durchschlagskraft, um die Botschaft, welche Church vermitteln und mit dessen Hilfe er seine Geschichte erzählen will, an den Mann bzw. an die Frau zu bringen. So kommt sein Werk, bei aller sprachlicher Qualität und Eleganz, nicht über das Mittelmaß hinaus. Weitere Bücher aus der Reihe sind bisher unübersetzt – und mögen es wegen mir auch ruhig bleiben.