Cover des Buches Weißes Leuchten (ISBN: 9783442415441)
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Rezension zu Weißes Leuchten von James Lee Burke

Nach Faulkner und Steinbeck folgt Burke

von Stefan83 vor 13 Jahren

Rezension

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Stefan83vor 13 Jahren
Auch wenn uns „Bestseller“-Aufkleber und Autoren-Lobeshymnen auf den Buchcovern etwas anderes glauben machen wollen: Eine Garantie für hervorragende Unterhaltung gibt es im Literaturbereich eigentlich nicht. Ich sage mit voller Absicht eigentlich, weil es hin und wieder doch ein/e Autor/in schafft, sich aus der Masse des großen Angebots hervorzuheben und die einmal gezeigte Qualität auch immer wieder in folgenden Werken zu unterstreichen. James Lee Burke ist ein solcher Schriftsteller. Einen Roman aus seiner Feder dem Bücherregal zu entnehmen, bleibt für mich stets etwas Besonderes. Zum einem deshalb, weil sämtliche Titel des amerikanischen Autors auf Deutsch seit langem vergriffen und nur noch zu Höchstpreisen zu erstehen sind (Man betrachtet die komplette Sammlung mit einem gewissen Stolz). Zum anderen aber auch, weil Burke es wie keinem anderen gelingt, den für die meisten unmöglichen Spagat zwischen „Kriminalromanen“ und „ernstzunehmender Literatur“ zu meistern. Er erzählt Geschichten, die weit über das übliche Mordermittlungsthema hinausgehen, mehr bieten, als nur schlichten Thrill und den Alltag vertreibende Kurzweil. Und dies tut er auf eine Art und Weise, welche den Vergleich mit Faulkner, McCarthy und Co. nicht scheuen muss. Das gilt auch für „Weißes Leuchten“, dem fünften Band aus der Reihe um den Cop Dave Robicheaux, der zwar nicht ganz die Qualität der Vorgänger erreichen kann, aber einmal mehr unterstreicht: Ein mittelmäßiger Burke ist immer noch besser als ein Großteil der Konkurrenz. Alles beginnt mit einem Schuss durch ein Fenster im Haus des Öl-Magnaten Weldon Sonnier. Dave Robicheaux, Police-Detective in New Iberia, Louisiana, wird mit den Ermittlungen beauftragt. Als ein Gangstertrio Weldons Haus durchsucht, dabei einen hinzukommenden Polizisten erschießt und Robicheaux niederschlägt, spitzt sich die Lage dramatisch zu. Die Spuren scheinen geradewegs in das enge Beziehungsgeflecht der alten und prominenten Familie der Sonniers zu führen: Neben Weldon Sonnier, dem Kopf der Familie, sind dies u.a. dessen Schwager, ein ehrgeizigen Politiker mit Klan-Verbindungen namens Bobby Earl, sein Bruder Lyle, ein charismatischer Tele-Evangelist mit Traumvilla und seine Schwester Drew, eine renitente Amnesty-International-Aktivistin, die einmal Robicheaux' Sandkastenliebe war. Dieser muss sich nun mit Drogenhandel und Korruption, mit Verrat und Bestechung auseinandersetzen. Und gleichzeitig wird er in eine düstere Familiengeschichte gezogen, deren alptraumartige Wurzeln auch Teil seiner eigenen Vergangenheit sind. Robicheaux, der alles daran setzt, den sturen Weldon von der ihm drohenden Gefahr zu überzeugen, gerät einmal mehr mitten zwischen die Fronten und nimmt die Hilfe seines alten Freundes Cletus Purcel in Anspruch. Gemeinsam üben sie Druck auf den örtlichen Mob aus und erzwingen eine Reaktion. Als diese erfolgt, wird ihnen langsam klar, mit wem sie sich da angelegt haben. Denn neben dem unantastbaren Bobby Earl, hat auch der hochrangige Mafiosi Joey Gouza seine Finger mit im Spiel. Und der kennt keinerlei Skrupel … „Weißes Leuchten“ ist eins dieser Bücher, das man einfach im Sommer oder zumindest im Frühling zur Hand nehmen muss, da es doch, wie überhaupt alle Titel dieser Reihe, von der Atmosphäre der tropischen Bayous von Louisiana lebt. Heiß ist es hier im Süden der USA, wo in den üppigen Sumpfwäldern nicht nur Alligatoren und Wasserschlangen auf Jagd gehen, sondern auch die ewig Gestrigen einen relativ sicheren Rückzugsort gefunden haben. Inmitten der Abgeschiedenheit der überwucherten Kanäle und Flussläufe hat sich seit Ende des Bürgerkriegs nur wenig getan. Die Flagge der Konföderierten ist weiterhin genauso allgegenwärtig wie der fest verwurzelte Rassenhass. Hinterwäldler, Rednecks und Rockerbanden bestimmen das Bild in der Bevölkerung, die Arbeitslosenzahl ist fast genauso hoch wie das vorhandene Gewaltpotenzial. In der brütenden, feuchten Hitze werden nur die wenigsten Streits verbal ausgetragen. Entweder man ertränkt die Wut im Alkohol oder man greift zur Waffe. Es ist ein Ort, in dem die Starken über die Schwachen herrschen und die Polizei nur hilflos zusehen kann (Wenn sie nicht sogar korrupt ist und selbst mitmischt). James Lee Burke wirft einen ungeschönten Blick auf einen Landstrich, der seine eigene Heimat und welcher ihm, und das liest man immer wieder zwischen den Zeilen, lieb und teuer ist. Nicht weit von der Touristenhochburg New Orleans entfernt, taucht der Leser in eine Welt ein, in der das Land der unbegrenzten Möglichkeiten zwar nicht gescheitert ist, wo aber in erster Linie die kriminellen Elemente sich die gegebenen Freiheiten zunutze machen. Der Mafia dient sie als Umschlagplatz für Drogen aus Mittel- und Südamerika, der „Aryan Brotherhood“ und anderen rechtsgerichteten Organisationen als Nährboden für ihre radikalen Parolen. Burke braucht wenige Worte um hinter diese Fassade der exotischen Flora und Fauna zu blicken, die im Untergrund brütende Gewalt deutlich zu machen. Wofür andere ganze Handlungsstränge verschwenden, das vermag dieser Autor in wenigen Zeilen zu leisten: Eine packende, spannungsgeladene Atmosphäre zu kreieren, welcher keiner „Aha-“Momente oder künstlicher Cliffhanger bedarf und Bilder mit Leben zu füllen, ohne dabei dem Leser in seiner eigenen Fantasie einzuschränken. Das wiederum soll nicht heißen, dass Burke mit drastischen Szenen geizt. Ganz im Gegenteil: „Weißes Leuchten“ ist trotz seiner Komplexität und der stilistischen Geschliffenheit immer noch ein „Hardboiled“-Novel alter Schule, dessen ruhige Passagen stets allzu trügerisch sind. Wie bereits in den vorherigen Bänden, so sind auch hier die Gewalttaten von ernüchternder und erdrückender Brutalität. Sie fügen sich jedoch nahtlos in die Handlung ein und dienen lediglich als ein Stilmittel von vielen. Wo die Konkurrenz sonst den gesamten Plot auf ein blutiges Spektakel hin ausrichtet, sucht Burke in seinen Schilderungen lediglich einen Weg, die bittere Realität zu unterstreichen. Die Folge davon: Egal, welche Geschichte er erzählt – man glaubt ihm, was er erzählt. Das es ihm dabei dann auch noch immer wieder gelingt, eine Kriminalgeschichte aus der Taufe zu heben, die sich zwischen seinen Milieuschilderungen nicht verliert, macht die Klasse dieses Autors aus. Kaum ein anderer Schriftsteller verwebt die gute, alte „Whodunit“-Frage derart geschickt mit den anderen Strängen der Handlung, verzichtet in solchem Maße auf die üblichen Ermittlungsvorgänge, ohne das die von Robicheaux geleistete Polizeiarbeit dadurch an Authentizität verliert. Überhaupt steht und fällt jeder Band der Serie immer mit dieser Hauptfigur, deren Entwicklung Burke mit einer Akribie vorantreibt, die bewundernswert ist. Im Laufe der Reihe ist Dave Robicheaux zu einem guten, alten Bekannten geworden, dessen Schwächen ihn erst sympathisch machen. Einerseits ein Mann von Ehre, sieht er keinen Fehler darin, die Gesetze zu beugen, um dem größeren Ganzen zu dienen oder seine Familie vor Gefahr zu schützen. Unerschütterlich an seiner Seite steht Cletus Purcel, Ex-Partner von Robicheaux und Mann fürs Grobe, dessen kompromisslose Alleingänge (die diesmal leider viel zu kurz kommen) man jedes Mal herbeisehnt. Seine gewaltbereite Ader ist es auch, welche die doch diesmal sehr ernste Handlung etwas auflockert und für ein wenig bissigen Humor sorgt. Wie bereits von User Bartensen oder KC-Rezensent Michael Drewniok erwähnt, so ist auch mir hier allerdings der Hang zur Predigen bitter aufgestoßen. Wo er sonst die Handlungen seiner Figuren für sich hat sprechen lassen, überwiegen nun lange, innere Monologe, welche nicht nur dem Spannungsaufbau (der sonst wie immer gelungen ist) entgegenwirken, sondern in einem zu hohen Maße die gängigen Südstaaten-Klischees bedienen. Die Balance ist James Lee Burke da bereits schon mal weitaus besser gelungen. Auch im Zusammenhang mit der Zeichnung der Gegenspieler, die mir persönlich ein wenig zu kontrastreich daherkommt. (Hier fühlte ich mich übrigens stark an „Die weiße Straße“ von John Connolly erinnert, welche neben dem farbigen Titel auch sonst noch ein paar auffällige Parallelen zu dem vorliegenden Buch aufweist. Überhaupt hat der gute John eindeutig das ein oder andere Element Burkes für seine eigene Reihe übernommen.) Dem Lesevergnügen tut dies jedoch keinen großen Abbruch. Erneut werden geschickt mehrere Figuren in den Lichtschein der Verdächtigen geschoben, so dass man als Leser lang genug im Zweifel ist, um letztlich von der Burke-üblichen unkonventionellen Lösung gänzlich überrascht und überzeugt zu werden. Insgesamt ist „Weißes Leuchten“ wieder eine nachhaltige und gefühlsintensive Leseerfahrung, die Freunden der „Harten Gangart“ nur ans Herz gelegt werden kann, sofern sie denn bereit sind, die derzeitigen astronomischen Preise für die raren Gebraucht-Exemplare zu berappen. Ich freue mich jedenfalls schon auf den nächsten Dave Robicheaux.
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