Charles hat alles: einen Job, eine Familie. Doch nach und nach zerbricht sein Leben - seine Tochter distanziert sich nach ihrer Diagnose: juvenile Diabetes, er verliert seinen wichtigsten Auftrag bei der Arbeit und lernt zudem eine junge, hübsche Frau kennen, die sich augenscheinlich für ihn interessiert. Doch was als Seitensprung begann, endet in einem bösen Alptraum, der ihn beinahe seine Ehe, seine Arbeit und sein Leben kosten sollte.
Nachdem ich zunächst dachte, das Buch noch nie gelesen zu haben, war ich dann doch irgendwie überrascht, als mir die Geschichte seltsam vertraut vorkam. So hatte ich das Buch doch tatsächlich schon einmal gelesen - oder zumindest angefangen. An alle Einzelheiten konnte ich mich nicht mehr erinnern, allerdings war mir der grobe Rahmen durchaus wieder vertraut, nachdem ich mich erstmal wieder reingelesen hatte. Doch fangen wir vorne an.
Die Geschichte des Buches ist sehr rasant. Was als anfängliches Geplänkel zwischen zwei Menschen anfängt, wird recht schnell zu einem tobenden Plot, in dem viel mit Gewalt, Erpressung und psychischen Tricks gearbeitet wird. So ist Charles zu Dingen gezwungen, die er nie im Leben getan hätte, wenn ihm diese Geschichte nicht passiert wäre. Das Spannende dabei ist: eigentlich kann sowas immer passieren. So abstrus die Geschichte an sich auch klingt: sie ist nicht vollkommen abwegig. Zwar bin ich schon der Meinung, dass vieles ein bisschen aus der Luft gegriffen ist und den Bogen überspannt, aber im Grunde ist alles im Rahmen des Möglichen. Die Geschichte zeigt, wozu Menschen in der Lage sind, die bedroht werden und vor allem, was aus ihnen werden kann. Wie psychischer Druck sich auf das Gemüt von Menschen auswirken kann.
Dabei wirkte mir gerade am Anfang alles ein bisschen willkürlich. Zwar ist die Geschichte wunderschön zusammengesetzt und alles scheint irgendwie zu passen, aber der Aufbau an sich hat mir nicht wirklich zugesagt. Zwar ist es gut, dass nicht von Anfang an klar ist, dass Charles letztlich alles genau so geplant hat wie es am Ende passiert. Auf der anderen Seite hat es mir stilistisch nicht so zugesagt, wie vom einen zum anderen Moment gesagt wurde: "ja, die Geschichte, die vor mir lag, ist langweilig, weil sie keine überraschenden Momente vorweisen konnte - weil es meine Geschichte ist." Zwar ist der plot twist interessant, weil er irgendwie tatsächlich überraschend kommt, aber diese Wendung im Sinne von "okay, ich erzähle dann mal weiter", die innerhalb der Geschichte immer wieder von Punkten wie "ich schweife ab" verstärkt werden, fand ich einfach nicht besonders. Ich hätte gerne die Geschichte gelesen, wie er sie bekommen hat. Wie der andere sie wahrgenommen hat. Es ist zwar schön, Charles Sicht auf die ganze Sache weiterverfolgen zu können, aber mindestens eine Parallelsicht wäre noch ein bisschen spannender gewesen - weil so der Bezug zwischen Vergangenheit und Gegenwart noch stärker gewesen wäre. Wie es am Anfang des Buches eben aufgebaut wurde. So wird man als Leser von einem Element in das nächste geworfen, mit Einwürfen wie "ich schweife ab" (wie bereits erwähnt") abgetan und am Ende wird man auf einmal wieder zurückgeworfen. Ich fand das einfach nicht sehr elegant gelöst.
Ebenso willkürlich empfand ich diesen Zufall, dass dieses blöde Hotel gerade in diesem Moment in die Luft geflogen ist und gerade dieses eine Zimmer soweit unversehrt blieb. Mag ja sein, dass es solche Zufälle gibt und die für Menschen immer wieder erlebnisreich ist. Ein Aufhänger für jede Geschichte. Aber in dem Fall dann doch irgendwie ein bisschen... zu arg.
Die Personen an sich waren dagegen eigentlich ganz interessant gemacht. Natürlich war es gerade die psychische Veränderung, die Charles durchmachte, die im Buch eine sehr zentrale Rolle spielte. Sie zieht sich durch das gesamte Werk und ist meiner Meinung nach eine wichtige Konstante. Sie zeigt einen Lernprozess, der einen kleinen, unwissenden und unsicheren Mann zu einem durchstrukturierten, organisierten und ein Stück weit auch kaltblütigen werden ließ. Am meisten ans Herz gewachsen ist mir allerdings Anna. Ich mochte ihre Art einfach, vielleicht auch gerade deswegen, weil ich mir vorstellen kann, wie schwer es ist, mit einer solchen Krankheit in diesem Alter umzugehen. Sie ist stark, auch wenn sie ihre Stärke oft hinter kleinen Gemeinheiten versteckt.
Was ich an dem Buch allerdings ein bisschen problematisch finde ist: man kann es nur einmal lesen. Es gibt ja so Bücher, die kann man immer und immer wieder lesen, weil sie einfach genial sind. Egal ob man weiß, wer oder was für welche Dinge verantwortlich ist - es ist einfach toll. Hier geht das irgendwie nicht. In dem Moment, in dem ich mich wieder an die Rahmenhandlung erinnert habe, hätte ich das Buch eigentlich auch wieder weglegen können. Mir hat die Spannung gefehlt. Ja, es gab Details und Elemente, die mir nicht mehr geläufig waren - aber im Grunde war die Tatsache, dass ich die Wahrheit über Lucinda kannte, schon ausreichend, um das Buch ein bisschen langweilig zu finden. Das ist mir bisher nur bei einem Film passiert: Das geheime Fenster. Man weiß was passiert. Man weiß was das Problem ist. Und schon ist es nur noch halb so interessant. Schade.
Insgesamt war ich mit Entgleist ein bisschen zufriedener, als ich vielleicht dachte, als ich es zuerst in die Hand genommen habe - auf der anderen Seite war es jetzt auch nicht so besonders. Die Geschichte an sich hat sehr viel Potential, das meiner Meinung nach auch soweit ausgeschöpft wurde - nur der Aufbau hat mich massiv gestört. Wie gesagt, hier wäre eine andere Vorgehensweise bei mir auf mehr Verständnis und Interesse gestoßen. Dass ich es ein bisschen langweilig fand, nachdem ich es letztlich ja eigentlich das zweite Mal gelesen habe, dafür kann das Buch ja nichts, auch wenn es zu meinem jetzigen Leseeindruck massiv beigetragen hat.
Gespannt wäre ich jetzt noch auf den Film. Laut wikipedia gibt es hier einige Änderungen zu der Geschichte, aber an sich klingt gerade die Besetzung ganz gut. Vielleicht kann mich der Film ja etwas mehr begeistern.