Anders als der Klappentext („Familienkrise infolge der Depression einer jungen Frau“) befürchten lässt, ist der Roman nicht deprimierend. Er handelt auch nur wenig von Depressionen.
Der Roman handelt davon, wie ein 68-jähriger Mann seine beiden Töchter besucht – beide um die 40 und beruflich erfolgreich. In vielen langen Rückblenden lernt der Leser das Leben der drei Hauptpersonen recht gut kennen. Kurz, ein Familienroman.
Anders als in vielen Familienromanen gibt es keinen Streit, werden keine alten Rechnungen beglichen, Geheimnisse gelüftet, Geständnisse gestammelt. Die Familienmitglieder gehen höflich und vorsichtig miteinander um. Der Motor der Geschichte ist kein Konflikt, sondern die Sorge um die ältere Tochter, die einen neuen depressiven Schub zu haben scheint. Das ist eine ungewöhnliche und positive Romanidee – positiv zumindest für Leser, die – wie ich – keine hässlichen Kampf- und Streitgeschichten mögen. Der Nachteil der Romanidee ist, dass die Spannung etwas schwach ausgeprägt ist, zumal sich die Depression als weniger heftig herausstellt als befürchtet.
Stattdessen wird sich das familiäre Trio bewusst, dass alle drei kurz davor sind, ihr Leben - zumindest beruflich - zu verändern. Es tun sich sogar Möglichkeiten gemeinsamer Unternehmungen auf, so dass am Schluss sogar eine diffuse optimistische Stimmung aufkeimt.
Der Roman besteht zu einem ungewöhnlich großen Anteil aus Rückblenden und Reflektionen der Hauptfigur. Und entsprechend einem geringen Anteil von Handlung in der ‚Gegenwart‘. Die Handlung in der Gegenwart besteht zudem teilweise aus Reisebeschreibungen – Taxifahrten, Hotelzimmer, erste Spaziergänge in einer fremden Stadt - , die zum Verständnis der Familiengeschichte nichts beitragen, so dass Dialoge, in denen wir den Figuren ganz nahe kommen, selten sind.
Was alle Komponenten des Romans (Rückblenden, Reflektionen, Reisebeschreibungen, Dialoge) gemeinsam haben: sie sind nach meinem Geschmack immer zu lang. Immer wieder wurde ich beim Lesen ein bisschen ungeduldig – wann geht’s denn jetzt endlich weiter?
Die Geschichte ist zu 80% aus der Perspektive des Vaters erzählt, jeweils kurze Abschnitte plötzlich aus der Sicht einer der beiden Töchter. Das empfand ich als unbefriedigend – wenn schon die Töchter erzählen dürfen, dann will ich ihre Sicht der Familiensituation auch vollständig kennen lernen – nicht nur kleine, zufällige Häppchen.
Die Hauptfigur ist ein Immobilienmakler kurz vor dem Ruhestand, der seine Töchter mag, aber nicht sonderlich gut versteht. Sie haben ihm wohl nie ihre Probleme anvertraut und sind ihm einigermaßen fremd geblieben. Auch ihr berufliches Umfeld ist ihm fremd. Er wirkt manchmal wie ein gutmütiger Trottel. Das ist eine häufig in der Realität, aber selten in Romanen vorkommende Figur. Insofern ist es löblich, dass sie nun auch literarische Beachtung findet – aber leider ist es keine sehr spannende Figur, von der wir etwas lernen können.