Cover des Buches Keiko (ISBN: 9783827008411)
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Rezension zu Keiko von Jamie Ford

Rezension zu "Keiko" von Jamie Ford

von Lonice vor 14 Jahren

Kurzmeinung: Hm, bin ich eigentlich die einzige, die die "Online-Selbsthilfegruppen" im Jahre 1986 stören? Da bin ich extrem drüber gestolpert.

Rezension

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Lonicevor 14 Jahren
Eine Zeitkapsel wird geöffnet... Durch Zufall kommt Henry Lee im Jahre 1986 am alten Panama Hotel in Seattle vorbei, gerade als dieses nach 40 Jahren zum ersten Mal wieder geöffnet wird. Die neue Besitzerin hat dort im Keller Koffer und Kisten mit den Besitztümern vertriebener Japaner gefunden und hält in diesem Moment, gerade als Henry vorbei kommt, einen alten Bambusschirm in die klickenden Kameras und Henry erstarrt. Dieser Schirm bringt eine Erinnerung zurück, die Henry tief und sicher in seinem Herzen verschlossen hat. Eine Erinnerung an das Jahr 1942 und an ein kleines, schwarzhaariges Mädchen, das für Henry etwas ganz besonderes war. Der Gedanke lässt ihn nicht mehr los und er macht sich auf die Suche nach dem Mädchen, auf die Suche nach Keiko und dem, was damals war. Mit Keiko ist Jamie Ford ein Meisterwerk gelungen. Der Erstling des amerikanischen Schriftstellers widmet sich einer Zeit, die in deutschen Schulen schon oft zu Tode diskutiert wurde, es geht um die Kriegsjahre ab 1942. Aber Ford hat nicht die üblichen Protagonisten und Blickwinkel gewählt, sondern beschäftigt sich in diesem Roman mit einem fast vergessenen Teil der amerikanischen Kriegsgeschichte. Nach dem Angriff der Japaner auf Pearl Habour hat sich die Lebensqualität der in den USA lebenden Japaner extrem verschlechtert. Die gesamte Bevölkerung hält sie für ein Volk der Kriegstreiber und Verräter, egal wie sehr sich die Japaner selbst als Amerikaner sehen. Und genau in diese Zeit und diese Problematik hat Ford seine Geschichte gelegt. Henry Lee ist ein ganz normaler Junge, bis auf die Tatsache, dass seine Eltern Chinesen sind. Sein strenger, nationalistischer Vater hasst die Japaner, die sein Land schon seit Jahren angreifen und macht Henry immer wieder klar, dass er etwas Besseres ist als die Japaner, die in Seattle Chinatowns direkter Nachbarschaft leben. Nach den Angriffen der Japaner auf die USA hält er es jedoch für besser, wenn Henry nicht mehr eine chinesische Ausbildung erhält, sondern eine amerikanische. Das ist auch der Grund dafür, warum der Junge seit einiger Zeit kaum noch mit seinen Eltern sprechen kann. Sie haben ihm verboten, Chinesisch zu sprechen, er darf nur noch "sein Amerikanisch" benutzen, was der Vater nur notdürftig und die Mutter gar nicht versteht. Und sie haben ihm ein Stipendium für eine Grundschule für weiße Mittelklassekinder besorgt. Henry hasst diese Schule, in der er als Japse, Schlitzauge und ähnliches beschimpft wird und das bevorzugte Opfer der Schulrowdies ist. Er hasst es, dass seine alten Mitschüler der chinesischen Schule ihn jetzt als "weißen Teufel" beschimpfen und er hasst seinen Küchendienst, den er ableisten muss, um die Schule besuchen zu dürfen. Bis zu dem Tag, an dem Keiko auftaucht. Keiko, das hübsche Mädchen aus Seattle Nihonmachi, dem japanischen Viertel. Keiko, das Mädchen, dass binnen weniger Tage seine einzige Verbündete und schließlich seine Freundin wird. Ihr geht es wie ihm, ihre Eltern möchten, dass sie eine amerikanische Ausbildung erhält. Auch sie wird an der Schule beschimpft und ausgelacht, dabei fühlt sie sich als Amerikanerin, zumal sie kein Wort japanisch spricht. Dann kommt der Tag, an dem alle japanischstämmigen Einwohner Seattle verlassen müssen und in Internierungslager kommen und so endet nach einiger Zeit die beginnende Liebe der Kinder. Henry verschließt die Gedanken an Keiko tief in seinem Herzen und lebt sein Leben, heiratet und bekommt einen Sohn, alles scheint normal, bis im Jahre 1986, kurz nach dem Tod seiner Frau Ethel, die Zeitkapsel "Hotel Panama" geöffnet wird und Keikos Bambusschirm auftaucht. Auf einmal sind all die Erinnerungen wieder da und Henry macht sich auf die Suche nach seiner Vergangenheit. Henrys und Keikos Geschichte wird in kurzen, aber eindrucksvollen Kapiteln geschildert, die zwischen den Kriegsjahren und 1986 hin und her springen. Die Geschichte der Liebe der beiden erfährt man direkt, immer aus Henrys Sicht geschildert, die Zeit nach dem Krieg durch Erzählungen und Erinnerungen des Henry aus 1986. Man gewinnt diesen freundlichen Mann sofort lieb und wünscht all die Zeit, dass er und Keiko es schaffen, all die Hindernisse zu überwinden, und zusammen zu sein. Das Buch beeindruckt mit seiner gnadenlosen Offenheit, mit der klaren Darstellung des Rassismusses auch zwischen den einzelnen Einwanderergruppen und der Härte, mit der die japanischen Einwohner der USA behandelt wurden, nur weil sie Japaner waren. Aber das Buch will nicht belehren, es will eine Geschichte über die Liebe zweier Kinder erzählen, die in diese Welt aus Hass, Krieg, Vergeltung und Verzweiflung hineingeraten und es trotz allem schaffen, ein wenig Licht in die Dunkelheit zu bringen. Zwar hat mich die Existenz von Online-Selbsthilfegruppen im Jahre 1986 gleich im ersten Kapitel doch ganz schön aus der Bahn geworfen (mal ehrlich 1986 war das Internet noch was für's Militär, auch in den USA), aber jedes weitere Wort hat mich unheimlich in den Bann gezogen. Ford beschreibt die Liebe der Kinder und die Lebensumstände dieser Zeit so liebevoll und gleichzeitig klar, dass man das Buch wirklich kaum aus der Hand legen kann. Wer Geschichten mag, die während des Krieges spielen und ein bisschen Herz-Schmerz beinhalten wird das Buch lieben. Mich hat übrigens das wunderschöne Cover angezogen, das tolle Sepiafoto der beiden Kinder mit den Schirmen und die tollen Ornamente sind einfach wunderschön und der schlichte deutsche Titel (Das Original heißt: The Hotel on the Corner of Bitter and Sweet = Das Hotel an der Ecke zwischen Bitter und Süß) besticht ebenfalls. Ein wirklich, wirklich tolles Buch, ich bin mächtig beeindruckt.
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