„Du musst erwachsen werden, Mädchen. Du und dein Bruder, ihr müsst begreifen, dass eure Eltern tot sind. Sie sind von uns gegangen. Und das bedeutet, dass Peters und ich die einzigen Menschen sind, die sich jetzt noch um euch kümmern.“
Inhalt
Die Familie Chamberlain ist von England nach Neuseeland emigriert, der Vater tritt in wenigen Wochen seine neue Stelle dort an und die Mutter ist mit den 4 Kindern gut beschäftigt. In den letzten freien Wochen wollen sie die Gegend erkunden und das Land kennenlernen. Doch eines Nachts kommt John Chamberlain mit dem Auto von der regennassen Straße ab und stürzt mit seiner ganzen Familie in die Tiefe. Er selbst, seine Frau und das Baby überleben den Sturz in den überfluteten Strom nicht, doch die 3 größeren Kinder auf dem Rücksitz, können sich aus dem Wrack befreien. Zwei Tage verharren sie im Wald: schwer verletzt, ausgehungert und seelisch verwundet. Dann werden sie von den Hunden eines Outlaws entdeckt und dieser nimmt die Kinder mit zu seiner Lebensgefährtin, die vollkommen autark im tiefsten Busch lebt. Die beiden Aussteiger kümmern sich um ihren Fund, doch nur, um die Fremden wieder aufzupäppeln – danach scheinen diese jungen Menschen die idealen Arbeitskräfte zu sein, denn wer nicht vermisst wird, ist vogelfrei und kann keine Ansprüche stellen, erst recht nicht, wenn sie sich in der totalen Abhängigkeit befinden …
Meinung
Bereits nach wenigen Seiten entfaltet diese Geschichte ein menschliches Horrorszenario, angesiedelt zwischen Tragödie und Überlebenskampf folgt der Leser den Wegen der Kinder, die zu schwach sind, um sich selbst zu retten und vollkommen allein in einem für sie fremden Land.
Ihre Retter entpuppen sich schon bald als gewalttätige Ausbeuter, denen es nicht um das Kindeswohl geht, sondern einzig um ihr eigenes Wohlergehen. Der eigentliche Fokus aber liegt auf den Umgang des Einzelnen mit dieser schwierigen Situation. Während der älteste Junge Maurice sich auf seine Gesundung konzentriert, um der Hölle im Busch zu entkommen, bemüht sich seine jüngere Schwester Katherine mit ihren Rettern gut auszukommen und deren Ansprüchen gerecht zu werden. Der kleinste Bruder ist ohnehin verloren, er hat sich beim Unfall einen Hirnschaden zugezogen, der irreparabel ist.
Der Leser begleitet die Kinder über viele Jahre hinweg immer in kurzen Erzählepisoden, die ziemlich genau die Unausweichlichkeit ihres neuen Lebens vermitteln. Katherine nennt sich bald Kate, lernt die Heilkunde, das Kochen und saugt alles Wissen wie ein Schwamm auf. Sie verliert bald den Wunsch aus den Augen, diesen tückischen Ort zu verlassen und wird immer mehr wie die Einheimischen.
Ihr Bruder hingegen, der Rebell plant und wagt mehrere Fluchtversuche, die jedes Mal mit härteren körperlichen Strafen geahndet werden, so dass er bald nur noch mit Krücken laufen kann und doch sehnt er sich nach einem Ausweg, in die nächste Stadt, in die Hände einer zivilisierten Bevölkerung, nur weg von dem unleidlichen Ort, an dem sie schicksalsergeben gelandet sind.
Ab und an nimmt wendet sich der Blick des Lesers in die Gegenwart: Dort sucht die Tante der verschwundenen Kinder verzweifelt nach ihren Angehörigen – nach dem tödlichen Unfall will sie die Hoffnung nicht aufgeben, denn es sind keine Leichen geborgen wurden. Aber nach zahlreichen langen Auslandsreisen, ist ihre eigene Ehe in die Brüche gegangen und sie beendet ihre Suche. Erst als sie selbst Großmutter ist, findet man die Knochen von Maurice. Seltsamerweise ist er nicht im Jahr 1978, dem Jahr des Unfalls verstorben, sondern erst viel später an einem ganz anderen Ort …
Fazit
Dieser existentielle Roman über das Überleben, die Hilflosigkeit und die Dramatik des Lebens hat mich sehr mitgenommen – ein gruseliges, beängstigendes Szenario mit differenzierten Charakteren, die ausgezeichnet dargestellt werden. Ich vergebe begeisterte 5 Lesesterne und eine unbedingte Empfehlung, für alle die in Romanen gern mitfiebern. Die zeitliche Abfolge bringt viel Mehrwert in die Erzählung, denn so gehen die Jahre schnell dahin. Manchmal sind es nur kleine Sequenzen, dann wieder detailgetreue Schilderungen. Ein hartes Leben, in der Wildnis, im Dreck ohne die Wärme einer echten Heimat.
Keine Person wird ausgegrenzt, doch die unterschiedlichen Entwicklungen und Entscheidungen der Beteiligten werden immer stärker sichtbar. Die Empathie bleibt auf gleichem Niveau, denn beide grundsätzlichen Lebenshaltungen haben ihre Berechtigung. Der Junge, der keinen Frieden sondern eine Chance möchte versus das Mädchen, die aus der Gegenwart das bestmögliche herausholt, auch wenn sie dabei als Gefangene verharrt. Die Wucht der Gedanken, die sich hier während des Lesens immer mehr verdichten, zeigen deutlich, wie der Mensch mit seinen inneren Dämonen kämpft und wie unspektakulär ein Sieg oder ein Verlust aussehen kann. Jahreshighlight!