Rezension zu "Vorglühen" von Jan Müller
Nomen est Omen – es fließt viel Alkohol in diesem Buch, so viel ist mal klar. Doch was habe ich mich amüsiert über die Irrungen und Wirrungen einer jungen Band 1994 in Hamburg. Albert, ein lieber, oberbergischer „Jung“, zieht aus der Provinz nach Hamburg um dort die Luft der großen weiten Welt zu schnuppern. Eigentlich will er studieren, dieses Unterfangen betreibt er aber weniger als halbherzig. Auf Deutsch gesagt: Er kommt nicht aus dem Quark! Dieser im eigene Wesenszug, bleibt ihm auch im ganzen Buch mehr oder weniger erhalten, bis er ein besonderes Talent bei sich entdeckt. Er übergibt seine kleine Wohnung an einen misstrauenswürdigen Untermieter und zieht in eine typische WG nahe der Reeperbahn. Dort lernt er detailliert und liebevoll gezeichnete Protagonisten kennen, die an Skurrilität nicht zu übertreffen sind und deshalb vermutlich aus den Erinnerungen der Autoren stammen. Ich bin überzeugt: Die hat es zumindest zum Teil so gegeben! Z.B Claus, Kind reicher Eltern der in St. Pauli ein Leben zwischen Bürgertum und Rebellion auf die Reihe kriegt. Gernot, ewig knülle und vermutlich zukünftiger Alkoholiker, hat mich total genervt, doch seine Person ist der eigentliche Treiber der Geschichte und dann gibt es noch Susesch, gepflegt, gediegen und ein ruhender Pol in der Band – Bassist halt🤷🏼♀️! Sie haben alle ein gemeinsames Ziel: Ihre Musik so professionell hinzukriegen, dass auch andere drauf abfahren. Albert führt uns größtenteils sprachlos und beobachtend über die klebrigen Fußböden Hamburger Clubs , Imbissbuden und Kneipen der 90er. Alle Befürchtungen und Sorgen des frühen Erwachsenwerdens eine gewisse Ratlosigkeit und manche Fehlentscheidung bestimmen seine Figur. Unzählige weitere sehr skurrile Persönlichkeiten tauchen immer wieder auf und haben mich zeitweise laut lachen lassen. Aber auch Menschen die einem das Herz über laufen lassen, wie zum Beispiel Frau Baschak, verleihen dem Buch auch Tiefgang. Ich hätte auch gerne mal in ihrer Wohnung eine kleine Verschnaufpause gemacht.
Die Sprache lebt vor allem durch die Dialoge, die mit einer Mischung aus 90erJahre Slang und Altherrenwörtern dem ganzen Pepp verleiht. Immer wieder tauchen verbale Running Gags auf, zum Beispiel die Suche nach einem Band Namen – zu komisch! Die Hamburger Musikszene der 90er kenne ich nicht explizit, aber ich kann mir vorstellen, dass das alles sehr authentisch ist. Generell glaube ich, dass das Gefühl, dass man sich auf niemanden verlassen kann, aber immer jemanden findet, wenn man wen oder was braucht, tatsächlich der Realität entsprach. so nach der Devise „das bekommen wir schon irgendwie hin“, und das bekamen sie auch.
Ein Buch für alle, die eine kleine Zeitreise nach Hamburg unternehmen möchten, oder die vielleicht auch die 90er im Suffnebel , -orientierungslos und ohne Handy-verbracht haben und heute ein bisschen klarer drauf schauen möchten. Für die die gerne schmunzelnd zwischen den Zeilen lesen und vielleicht sogar was neues über Musik erfahren möchten. Ein Musik Roman, jenseits des Mainstream – die passende Playlist hab ich mir dazu angelegt und ich hätte niemals gedacht dass Freddy Quinn neben B. B. King und Canalterror auftauchen könnte 😂. Sehr lustig!