Cover des Buches Minusgefühle (ISBN: 9783492060219)
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Rezension zu Minusgefühle von Jana Seelig

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von nic vor 8 Jahren

Rezension

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nicvor 8 Jahren

Jana Seelig ist eine junge Frau, die an Depressionen leidet. Bekannt aus dem Internet, hat sie dabei geholfen, den Hashtag “notjustsad” bei Twitter in Deutschland populär zu machen. Seither liest man im sozialen Netzwerk täglich viele Tweets zum Thema Depressionen.
Jana Seelig beschreibt in ihrem ersten Buch ihre Krankheit, angefangen bei ihrer Jugend in einem Dorf, geprägt von Langeweile und Unverständnis über ihr Studium in Würzburg und Berlin bis zum heutigen Leben und ihrem Umgang mit Depressionen.
Dabei geht sie sehr ehrlich vor, was unabdingbar ist, wenn man über diese heimtückische Krankheit berichtet, und erzählt schonungslos alles, was ihr passiert ist. Sie gibt ihre persönlichsten Gedanken und Gefühle preis.
Dafür meinen absoluten Respekt.
Es ist etwas anderes, bequem und anonym von zu Hause aus über die Depressionen zu schreiben, so wie ich das tue, oder aber sich dazu bereit zu erklären, wirklich alles von sich der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, mit Klarnamen, Fotos, und dann auch noch öffentlichen Auftritten vor Kameras.
Also nochmal mehr Respekt meinerseits. Ich könnte das nicht. Auf eine einzige Anfrage eines Senders habe ich sofort ablehnend reagiert und mich zurückgezogen. Innerhalb der “Depressionsgemeinde” gerne, aber öffentlich vor der gesamten Nation? No way. Das Mädel hat Cochonnes! Denn bei aller Aufklärung und viel Verständnis gibt es natürlich auch immer jede Menge Anfeindungen, mit denen sie nun zurecht kommen muss. Das muss man erst mal schaffen, wenn es einem ohnehin schon beschissen geht.

“Minusgefühle” ist seit Wochen das erste Buch, das ich in einem Rutsch zu Ende lesen konnte. Ich habe mir dafür eine halbe Nacht um die Ohren geschlagen und bin mit 3 Stunden Schlaf zufrieden gewesen, weil ich am nächsten Morgen arbeiten musste. Aber ich wollte unbedingt lesen! Ich konnte mich endlich mal wieder konzentrieren, weil ich fast alles kenne, wie Jana Seelig schreibt.
Dabei bin ich nicht nur voll des Lobes. Der Ton, den sie anschlägt, gefällt mir nicht immer. Dazu muss man sagen, dass ich 16 Jahre älter bin als sie und somit wohl zu einer anderen Generation gehöre. Oft ist sie mir zu vulgär. Ficken, abgefuckt, das Leben fickt mich hart, ist mir zu derb. Obwohl auch ich mich oft in Gossensprache verlieren kann, setzt Jana Seelig mir da einen zu viel drauf. Und ob sie sich gerade mit der Schilderung ihrer sexuellen Vorlieben einen Gefallen getan hat, wage ich zu bezweifeln. Mittlerweile bin ich aber der Ansicht, dass das Buch eben nicht für meine Generation, sondern für die nächste geschrieben wurde und bestens passt.
Somit versuche ich, mich in die Generation meiner Tochter hineinzuversetzen. Und gerade dann finde ich es erschreckend, wie Janas Eltern sie im Stich lassen. Mein Mutteralarm geht los: niemals würde ich mein krankes Kind dermaßen unter Druck setzen und so mit ihr umgehen. Wobei ich es ja selbst kenne. Wie man sich fühlt, absolut unverstanden und alleingelassen. Deshalb ist das Buch für uns “Alte” dann vielleicht doch wieder geeignet, um zu lernen, depressiven Nachwuchs zu verstehen.
Ich als Depressionspatient, dessen Mediaktion gerade wieder erhöht werden musste, empfehle das Buch allen, die, in welcher Form auch immer betroffen sind. Als Patient, Angehöriger, Freund, kann man nicht genug Infos bekommen.
Wobei ich anmerken will, dass das Buch keine direkten Informationen enthält, was Hilfe angeht. Es klärt auch nicht explizit über die Krankheit auf. Es ist aber ein Erfahrungsbericht, in dem viele Menschen sich wiederfinden.

Kleine Anmerkung am Ende: Danke für das Buch Jana. Nicht zuletzt war es der Auslöser für mich, ehrlich zu meiner Ärztin zu sein und zu mir selber und mir nicht weiter vorzuspielen, es sei ja alles in Ordnung, und immerhin gehe ich ja arbeiten. Bleibt zu hoffen, ich habe noch früh genug reagiert, ehe ich wieder komplett auf die Fresse falle.

Solche Bücher braucht es! Und es gibt noch viel zu wenige davon. Bücher, die schonungslos berichten, was eine Depression aus einem macht. Und solche Menschen wie Jana braucht es, die der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten und die sich nicht verstecken, sondern in die Öffentlichkeit treten.

Danke dafür und meinen allergrößten Respekt.

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