Cover des Buches Northanger Abbey (ISBN: 9783423141642)
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Rezension zu Northanger Abbey von Jane Austen

1794 entstanden, jedoch immer noch zeitgemäß

von Literaturchaos vor 8 Jahren

Kurzmeinung: Bissige Gesellschaftssatire - sehr amüsant geschrieben

Rezension

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Literaturchaosvor 8 Jahren
- "Kein Mensch, der Catherine Morland in ihrer Kindheit gekannt hatte, wäre auf die Idee gekommen, sie könnte zur Romanheldin geboren sein." - Zitat Seite 9



...so beginnt dieser Klassiker von Jane Austen, bei dem sie uns von Anfang an weismachen will, dass ihre Romanheldin Catherine in Wirklichkeit weit entfernt davon ist, eine ebensolche zu sein. Weil sie einfach nur durchschnittlich ist. Durchschnittlich begabt, durchschnittlich hübsch, durchschnittlich musikalisch, durchschnittlich bei dem, was zu der Zeit, in der dieser Roman geschrieben wurde, als Tugend bei jungen Mädchen angesehen wurde. 1794.



1794 tickten die Uhren anders als heute und auch Jane Austen tickte ein wenig anders als ihre Mitmenschen. Sie hatte einen wachen Blick auf die Gesellschaft um sich herum und nahm diese in ihren Romanen gerne ein wenig auf die Schippe. Gerade "Northanger Abbey" ist eine Geschichte mit derart übertriebenen Charakteren, dass ich es schon als Gesellschaftssatire bezeichnen würde.



Catherine Morland, unsere Anti-Heldin, ist eines von vielen Kindern eines englischen Pfarrers. Behütet aufgewachsen und zuhause von der Mutter unterrichtet worden, wird sie nun im Alter von 17 Jahren in die große weite Welt entlassen - indem sie das Ehepaar Allen, Freunde der Familie, zu einer Kur ins Seebad Bath begleitet. Die Allens haben keine eigenen Kinder und schätzen daher Catherines Gesellschaft umso mehr. Denn eine "Kur" Ende des 18. Jahrhunderts sah so aus, dass man sich eine Wohnung mietete, täglich in einer großen "Trinkhalle" vorbeischaute, um dort Heilwasser zu konsumieren (in Wirklichkeit ging es jedoch darum, zu sehen und vor allem gesehen zu werden) und den Rest der Zeit damit verbrachte, zu flanieren, auf Bälle zu gehen und Besuch zu empfangen. Damals hiess das "Zerstreuung suchen". Wir sagen heute dazu "Zeit totschlagen".



Da man 1794 weder Fangopackungen noch Massagen oder Physiotherapie kannte, langweilt sich Catherine schon bald, denn sie kennt in Bath niemanden außer den Allens. Mrs Allen geht es genauso. Sie wird als äußerst egozentrische Person dargestellt, die kein anderes Thema als ihre Klamotten hat. Mr Allen hingegen ist der Ruhige, der nur redet, wenn er gefragt wird.



Das Blatt wendet sich, als Mrs Allen ihre alte Schulfreundin Mrs Thorpe wiedertrifft und sich Catherine mit deren ältester Tochter Isabella anfreundet. Denn Isabella ist die klassische Bitch. Vorneherum zuckersüß und hintenherum intrigant und durchtrieben. Nun muss ich allerdings auch dazu sagen, dass Catherine als äußerst naives Schaf beschrieben wird und man als Leser mehr als einmal am liebsten den Kopf auf die Tischplatte hauen würde, weil Isabella einfach so durchschaubar ist. Allerdings nicht für Catherine. Die freut sich über die neue Freundschaft und lässt Isabella einfach alles durchgehen.



Als dann auch noch Isabellas Bruder John auftaucht, bekommt der Teufel Konkurrenz. Eher unscheinbar und untersetzt ist er der Meinung, dass die Frauenwelt inklusive Catherine ihm zu Füßen liegt. Bemerkenswert ist allerdings, dass sich die Männer in den letzten 200 Jahren nicht besonders verändert haben: sehr amüsiert war ich über die Passage, in der John mit seinem neuen "Kabriolett", was in diesem Fall ein offener Einspänner ist, angibt. Mit den Extras wie Eisenbeschlägen oder Peitschenhalterung und vor allem mit dem einen PS davor. Heutzutage geben die Männer ebenso mit ihren fahrbaren Untersätzen an. Alles beim Alten also.



Aber Jane Austen wäre nicht Jane Austen, wenn es in ihren Romanen nicht vorwiegend um das Thema Liebe und Hochzeit gehen würde. Obwohl die Autorin selber nie verheiratet war lässt sie Catherine die erste große Liebe erleben. Natürlich verliebt sie sich in den Falschen, der erst durch Abwesenheit glänzt, sie aber dann auf sein Familienanwesen Northanger Abbey einlädt. Dieser Besuch jedoch endet in einem Desaster, da Catherine als begeisterte Gothic-Novel Leserin (schaurige Romane waren zur damaligen Zeit sehr in Mode und werden von der Autorin das ganze Buch über durch den Kakao gezogen) hinter jedem Schatten in dem alten Gemäuer ein Gespenst, eine Verschwörung oder sogar einen Mord vermutet. Zusätzlich werden noch einige Intrigen gesponnen, die es unserer Anti-Heldin nicht leicht machen.



Jane Austen gab zu ihrer Zeit und in ihrer Gesellschaft mit Sicherheit mehr als einmal Anlass zu Klatsch und Tratsch mit ihrem äußerst kritischen Blick auf ihre Umwelt. Sie brachte ihre Romane grundsätzlich unter dem Pseudonym "by a Lady" heraus, was unter den gegebenen Umständen sicherlich der einfachste Weg war, um sich und ihre große Familie nicht ins Gerede zu bringen. Meiner Meinung nach war Ms Austen ihrer Zeit jedoch weit voraus und wäre heutzutage mit Sicherheit eine gefeierte Schriftstellerin, die kein Blatt vor den Mund nehmen würde.



"Northanger Abbey" ist, gerade weil es so schamlos übertriebene Charaktere enthält, sehr amüsant zu lesen.
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