Cover des Buches Warte, bis die Granatapfelbäume blühen (ISBN: 9783945923092)
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Rezension zu Warte, bis die Granatapfelbäume blühen von Janet Uyar

Der lange Weg zur Selbstbestimmung

von jamal_tuschick vor 8 Jahren

Rezension

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jamal_tuschickvor 8 Jahren

Janet Uyar

Warte, bis die Granatapfelbäume blühen

Janet Uyars erster Roman schließt dem Leser Türen zu einer kaum

bekannten Welt auf. Der geografische Ausgangspunkt des Debüts ist

Samandağ, ein Dorf im Süden der Türkei - nahe der syrischen Grenze.

Dort gibt es eine Minderheit, die schlicht „die Christen in den Olivenhainen“

genannt wird.

Diese Minderheit ist griechisch-orthodox, sie separiert sich auch

sprachlich. Die Leute sprechen Arabisch. Ihren ethnischen Ursprung

vermuten sie aber in Griechenland. Sie bilden eine geschlossene Gesellschaft,

in der seit Jahrhunderten gültige Traditionen strikt den Alltag

regeln.

Patriarchalisch ist die Ordnung bis ins Kleinste. Ehen werden innerhalb

der Gemeinschaft geschlossen. Die kulturelle Absonderung reicht

so weit, dass man bereits die gleichfalls christlichen Armenier in der

Nachbarschaft als andersartig wahrnimmt.

Davon erzählt die Autorin auf die lebhafteste Weise. Mitunter schleicht

sich magischer Realismus ein. Doch bleiben die Darstellungen konkret,

Janet Uyar schildert eine Familiengeschichte mit dem Impetus

des Unerhörten.

Der Tod des Ernährers zerreißt die Bande. Die fünfjährige Johanna

kommt mit ihrem Bruder ins Waisenhaus, die jüngeren Kinder bleiben

zunächst bei den Großeltern.

Die junge Witwe geht 1966 als Arbeitsmigrantin nach Deutschland.

Erst nach Jahren der Trennung findet die Familie in Deutschland wieder

zusammen. Die Mutter bleibt in der Spur ihrer Erziehung. Angst

und Fremdheit bestimmen ihren Alltag. Auch ihre Kinder sollen die

Traditionen und Normen der ursprünglichen Heimat höher schätzen

als Einflüsse der deutschen Gegenwart.

Sie erkennt nicht, dass Johanna im Waisenhaus traumatisiert wurde.

Die älteste Tochter reagiert auf mütterliche Forderungen zunächst mit

extremer Anpassung und der Bereitschaft zur Übererfüllung sämtlicher

Erwartungen. Fragen nach der Identität, nach dem vielseitigen

Anderssein, werden vom Tisch gewischt. Die innere Zerrissenheit

zwischen den Kulturen, zwischen Anpassung und Selbstbestimmung,

zwischen Doppelmoral und Verantwortungsbewusstsein, findet kein

Forum der gestaltenden Betrachtung.

Johanna steht allein mit ihrer Fremdheit, den Schuldgefühlen und der

schmerzhaften Distanz zur Mutter so wie zu der Herkunftsfamilie. Ein

Muster prägt sich ihr ein, dass sie gegenüber den eigenen Kindern in

eine Wiederholungsfalle treiben wird.

Janet Uyar gewinnt Erzählkraft in Johannas verzweifelter Suche nach

Identität und Zugehörigkeit. Aufgewachsen in dem Glauben, nicht

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dazuzugehören, weder zu den Türken noch zu den Arabern noch zu den

Griechen und auch nicht zu den Deutschen, fragt sich die Heldin: Wer

bin ich? Wer sind wir? Ist die Heimat des Vaters auch meine Heimat?

Ist alles Schicksal oder hat man sein Leben nicht doch selbst in der

Hand?

Johanna geht einen Weg der Selbstbestimmung. Das selbstbestimmte

Leben, ein Leben ohne Doppelmoral hat seinen Preis. Johanna erlebt

Ausgrenzung in der eigenen Familie. Sie steht nicht mehr im Schutz

der Gemeinschaft, der Umma. Furcht und tiefe Einsamkeit sind Folgen.

Aber auch eine neue Freiheit. Diese Freiheit macht Angst. Johanna

lernt, sie auszuhalten.

Erst der Bruch mit der Herkunftsfamilie, die Auseinandersetzung mit

der Vergangenheit, die Versöhnung mit der eigenen Geschichte, bringt

Klarheit und versöhnt Johanna schließlich mit ihrem biografischen Ursprung.

Warte, bis die Granatapfelbäume blühen vereint mal episch, mal episodisch

Geschichten von vier Generationen, angefangen bei Johannas

Urgroßvater, der 1915 die Vertreibung und den Totenmarsch in die syrische

Wüste überlebte, dem als armenischer Genozid ein historisches

Schattendasein beschieden ist. Die Auswirkungen des Völkermords

wirken bis heute nach.

Jamal Tuschick

Stimmen zum Buch

„Es ist mir klargeworden, dass wir ‚Einheimischen’ bei allem Verständnis

und Einfühlungsvermögen letztlich doch nur eine schwache

Ahnung haben, was eine Integration bedeutet und wie groß das Gepäck

an Erfahrungen aus einem anderen Kulturkreis ist. Das vermittelt zu

haben, ist die große Stärke des Buchs.“

Jutta Szostak, Journalistin

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030 48639166

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