Rezension zu "Nest" von Janine Burke
Janine Burke zieht ihren roten Faden anhand ihrer eigenen Erlebnisse und Beobachtungen durch das Buch. Es sind Erinnerungen einer Kunsthistorikerin, keiner Ornithologin. Zwar bemüht sie sich um ein gewisses Maß an naturwissenschaftlicher Professionalität, indem sie ihr Werk mit einem Museumsbesuch einleitet, bei dem sie Vogelnester anschaut und berührt. Doch es ist nicht ihre Absicht, ornithologisches Wissen zu vermitteln. Vielmehr verknüpft sie diese sinnliche Erfahrung im Laufe des Buches immer wieder mit denen anderer Menschen, Schriftstellern, Künstlern und auch den frühen Naturwissenschaftlern, die beinahe beides waren – Künstler und Schriftsteller.
Inhalt
So handelt dieses Buch nicht von Vogelnestern, sondern mehr von den Assoziationen, die bei dem Wort NEST aufkommen: Standort, Heimat, Ursprung, Ästhetik, Geborgenheit, Schutz. Es versucht in die Gedankenwelt von Menschen einzutauchen, denen Vögel als Inspiration dienten zu Gedichten, Büchern, Bildern, Fotografien. Menschen wie den Naturwissenschaftlern Charles Darwin und John Gould, der amerikanischen Fotografin Sharon Beals, der dänischen Schriftstellerin Karen Blixen oder dem englischen Lyriker John Keats. Es streift Wordsworth, Shelley, Byron - im deutschsprachigen Raum etwas bekannter.
Janine Burke interpretiert die Biografien unter dem Aspekt der Eigenschaften von Vögeln, welche jene Menschen in ihren Werken oder Biografien zeigten oder erwähnten.
Das hat mit Naturwissenschaft freilich wenig zu tun, zumal der rote Faden des Buches eher wie ein Knäuel wirkt und sich mal in diese, mal in jene Richtung windet – ganz wie es der Autorin beliebt. Ein wenig Struktur scheinen die sechs Kapitel zu versprechen, aus denen das Buch besteht. Immerhin lassen sich so Bereiche wie die frühen Naturwissenschaften (Kapitel 1), bildende Künste (Kapitel 2), Literatur (Kapitel 4) oder Lyrik (Kapitel 5) erkennen.
Bedenkt man, wer Janine Burke ist – Kunsthistorikerin und Kuratorin diverser historischer und zeitgenössischer Kunstausstellungen sowie Autorin – und betrachtet man ihr bisheriges Schaffen etwas genauer – Biografien und überwiegend fiktive Literatur - so ergibt „Nest“ in ihrer schöpferischen Biografie einen Sinn. Sie steht der Kunst und Literatur aber weitaus näher als der Naturwissenschaft und diese Tatsache prägt das Buch ganz entscheidend.
Immerhin erwähnt Burke 97 Familien, Gattungen beziehungsweise Arten von Vögeln, von denen 24 mit farbigen Abbildungen in dem Buch erscheinen. Die meisten der Zeichnungen (und auch die der Singdrossel auf dem Schutzumschlag) stammen von John und Eliza Gould, die bereits für Charles Darwin illustrierten und deren Geschichte in Kapitel 1 ausführlich dargestellt wird. Diese Zeichnungen sind natürlich großartig – im Sinne Burkes auch Kunst! - und werten das Buch ungemein auf. Vier weitere Illustrationen stammen von Paschalis Douglas, der auch in anderen vogelkundlichen Büchern mitgewirkt hat.
Fazit
Das Buch zwingt den erwartungsvollen Leser, sich eine Meinung zu bilden, zu einem Fazit zu kommen. Es ist ein ernüchterndes Buch, das nichts Neues verkündet. Es sammelt bereits Gedachtes der Kunst und erörtert es eher beiläufig hinsichtlich des Nest-Begriffs. Dabei ist diese Suche nach der Verbindung zwischen der jeweiligen Kunst und dem Begriff „Nest“ so vage und undeutlich gezogen, dass man am Ende nicht mehr sicher ist, ob Burkes ursprüngliche Motivation Vögel und ihre Bauwerke waren.
Sie hinterfragt dagegen sehr die Intention der Künstler und Wissenschaftler, ihrer Lebensumstände und verliert sich in Mutmaßungen über deren Verbindung zu den Vögeln, die jene in ihrer Kunst darstellen. Das wiederum tut Burke dann auch leidenschaftlich und mit großer Empathie für die Künstler. Darin wird sie ausschweifend und portraitiert geradezu mit ihren Sätzen und Worten, erschafft Szenarien aus dem Leben der Künstler und das durchaus mit der Glaubhaftigkeit einer Kunsthistorikerin. Wer dies wiederum mag, und wer Interesse am Bezug der Kunst zur Vogelwelt hat, dem kann dieses Buch tatsächlich unbeschwerten Lesegenuss bereiten.
Die vollständige Version dieser Rezension gibt es unter: https://treibholzinsel.wordpress.com/2018/12/02/janine-burke-nest-kunstwerke-der-natur/